Der Fall Schumacher: Faszination und privater Schutzraum

Die Universitätsklinik von Grenoble wird belagert. Es ist hektisch, es ist unübersichtlich. Journalisten, Fotografen, Fans, Schaulustige. Der Grund für den Menschen- und Medienauflauf hat einen Namen: Michael Schumacher.

Es ist der 29. Dezember 2013, und irgendwo hinter den Mauern und Fenstern des Betonbaus wird Schumacher behandelt. Notoperiert gleich nach der Ankunft per Rettungshubschrauber, lange wird er auf der Intensivstation liegen. Wie geht es dem Rekordweltmeister, fragen sich die Menschen. Damals wie heute.

Schumachers Gesundheit ist Privatsache

«Die Entscheidung, die Privatsphäre vor der Öffentlichkeit zu schützen, ist im Interesse von Michael getroffen worden. Es ist das Recht der Familie, damit so umzugehen, wie es für sie am besten ist», erklärt Schumachers Managerin Sabine Kehm immer wieder. Die Gesundheit Schumachers ist kein öffentliches Thema.

Mit der Einsicht ist das so eine Sache, nicht jedem eröffnet sie sich. Ein als Priester verkleideter Journalist will sich Zutritt zu Schumacher auf der Intensivstation verschaffen, eine andere Person gibt sich als dessen Vater aus. Es habe «sehr viele abstruse Fälle» von Menschen gegeben, erinnert sich Kehm, die zu ihm vordringen wollten. Um ihn zu sehen oder gar um ein Foto oder Video zu machen.

Ein Kampf gegen Paparazzi-Attacken

Sehnsucht nach dem Star ist das längst nicht mehr. «Der Kampf um Reichweite durch die erst beginnende Aufmerksamkeitssteigerung des Internets und der sozialen Netzwerke ist sicherlich ein Faktor, der damals zu solchen Exzessen geführt hat», erläutert Thomas Horky, Professor für Journalismus und Sportkommunikation an der Macromedia Hochschule.

Es ist ein Kampf, der Sensationslust zu begegnen. Es spreche für die ganze Familie genauso wie für Kehm, «wie sie diese so lange und so schwierige Zeit mit unzähligen Paparazzi-Attacken und unzähligen Medien-Anfragen bis heute zehn Jahre lang so souverän und wirkungsvoll gehandhabt haben», sagt Norbert Haug, der Mercedes-Motorsportchef war, als Schumacher für die Silberpfeile 2010 in die Formel 1 zurückkehrte.

Das Problem mit Wasserstandsmeldungen

Privat heißt für Schumacher privat – das gilt schon während seiner atemberaubenden Karriere im Motorsport. Seine Familie verfolgt diese rote Linie stets auch nach dem Sturz, bei dem sich der heute 54-Jährige ein schweres Schädel-Hirntrauma zuzieht.

«Es ging immer darum, Privates zu schützen. Darüber, wie das möglich ist, haben wir natürlich viel diskutiert», erklärt der Medienanwalt der Familie Schumacher, Felix Damm, dem Rechtsmagazin «Legal Tribune Online» im Oktober. «So haben wir auch mal überlegt, ob eine finale Meldung über den Gesundheitszustand von Michael hierfür der richtige Weg sein könnte. Doch danach wäre ja nicht Schluss gewesen und es hätten dann permanent aktualisierte ‚Wasserstandsmeldungen‘ erfolgen müssen.» Als Betroffener habe man es nicht in der Hand, «den Medien damit einen Schlussstrich zu verordnen».

Tragisches und Mystisches

Wie geht es Schumacher? Wie sieht er aus? Fragen, die sich viele Menschen stellen, weil sie dieser frühere Ausnahmesportler aus Kerpen, der Ende 2012 seine Karriere beendete, bis heute fasziniert. «Das liegt daran, dass er auf dem Höhepunkt seines Ansehens schlagartig aus dem Rennen genommen worden ist, wenn man es so bezeichnen will. Aber nicht durch einen Unfall auf dem Asphalt, was bei einem Formel-1-Piloten dazugehören kann», erläutert der Sportsoziologe Gunter Gebauer.

«Ayrton Senna ist ja auf dem Höhepunkt seiner Kunst bei einem Rennunfall ums Leben gekommen, das hat sofort zur Mythologisierung angeregt. Bei Schumacher ist die Sache ganz anders. Er lebt noch, aber seine Tragik spielte sich nicht auf der Rennstrecke, sondern der Skipiste ab.»

Es geht um Tragisches, aber fast auch Mystisches. «Niemand weiß eigentlich ganz genau, was passiert ist. Es gibt eben keine Bilder und keinen ganz konkreten Ablauf des Unfalls, der sich auf einer Skipiste und nicht einer Formel-1-Strecke abgespielt hat», bemerkt Sportwissenschaftler Horky. «Daher umgibt weiter etwas Geheimnisvolles diesen Unfall, was für Medien damals schon eine Art Reiz ausgemacht hat.»

Schumacher «in der Pose des starken Rennfahrers»

Früher schützte Michael Schumacher die Privatsphäre von Frau Corinna, Sohn Mick und Tochter Gina. Heute schützt ihn die Familie. Er glaube, sagt Medienanwalt Damm, «dass die allermeisten Fans gut damit umgehen können und es auch respektieren, dass durch den Unfall ein Prozess in Gang gesetzt wurde, bei dem der private Schutzraum notwendig ist und jetzt weiterhin beachtet wird».

Bilder von Michael Schumacher, die auch für die Öffentlichkeit bestimmt sind, gibt es schließlich reichlich. Sie stammen nur eben aus einer anderen Zeit. «Es gibt Fälle von früheren Spitzensportlern, die nach schweren Unfällen wieder in die Öffentlichkeit gehen, und da tritt einem extreme menschliche Verletzlichkeit gegenüber. Von Schumacher gibt es aber keine Bilder seit dem Unfall, es wird nichts konkretisiert, was ich mir unter Umständen ausmalen könnte», erklärt Sportsoziologe Gebauer. «Ich habe stattdessen immer noch das Bild von Schumacher vor mir in der Pose des jungen und starken Rennfahrers als einem der größten deutschen Sportler aller Zeiten.»

Martin Moravec und Jens Marx, dpa