Deschamps pragmatischer Weg zum Erfolg

Die größte Würdigung erreichte Didier Deschamps schon vor seinem dritten WM-Finale. Und sie kam von allerhöchster Stelle. «Deschamps gewinnt alles. Natürlich muss er bleiben», sagte Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron.

Die Aussage zeigt, welch hohe Wertschätzung der 54 Jahre alte Nationaltrainer in der Heimat genießt – und das, obwohl er für seinen effizienten Fußball auch viel Kritik bekommt. Der Erfolg gibt Deschamps recht. Am Sonntag kann er sich im Endspiel gegen Argentinien (16.00 Uhr MEZ/ARD und MagentaTV) endgültig einen Platz in den Geschichtsbüchern sichern.

Deschamps wäre der erste Mensch, der zweimal als Trainer und einmal als Spieler den WM-Pokal gewinnt. Drei WM-Titel hat bislang überhaupt nur der Brasilianer Pelé erreicht, zwei Triumphe als Trainer gelangen nur dem Italiener Vittorio Pozzo (1934/1938). Die Équipe Tricolore wäre zudem das erste Team seit Brasilien 1962, das den Titel erfolgreich verteidigt. «Ich denke nicht an mich selbst», sagte Deschamps. «Ich bin sehr stolz auf meine Spieler.» 

Denn wie außergewöhnlich der nächste große Triumph mit Frankreich wäre, weiß der Trainer sehr wohl. «Gewinnen ist schwierig. Es zu wiederholen, ist noch schwieriger», sagt er stets. «Deschamps hat die Gelegenheit, noch ein bisschen mehr zur Legende zu werden», schrieb die Zeitung «L’Équipe» über den Kapitän, der 1998 den WM-Pokal in die Höhe reckte.

Es ist das Bild, das von seiner Profi-Karriere in Erinnerung blieb. Deschamps hielt als Sechser Superstar Zinedine Zidane den Rücken frei, war Anführer des Weltmeister-Teams von 1998. Spitzname: «Le General.» Der frühere Kaiserslautern-Profi Youri Djorkaeff, der mit ihm Weltmeister wurde, sagte: «Er ist ein Leader, ein wahrer Anführer für jede Gruppe.» Der ehemalige Teamkollege Christian Karembeu, bezeichnete Deschamps als «pragmatisch».

Und das spiegelt sich auch im Spielstil Frankreichs wider. Trotz Stars wie Kylian Mbappé, Antoine Griezmann und Ousmane Dembélé spielt der Titelverteidiger auf Stabilität bedacht und ergebnisorientiert. Beim 2:0 im Halbfinale gegen Marokko überließ die Équipe Tricolore dem Außenseiter die Initiative und kam auf gerade einmal 34 Prozent Ballbesitz.

Die Spieler folgen Deschamps in diesem Ansatz. Selbst Tempodribbler Dembéle arbeitet nach hinten, Griezmann ließ sich vom Nationaltrainer in eine defensivere Rolle im Mittelfeld beordern und glänzt bei diesem Turnier als Antreiber, Stabilisator und Arbeiter. «Das sind nur Etiketten», sagte Deschamps vor einiger Zeit über Kritik an seinem Stil. «Das Entscheidende ist es, sich anzupassen.» Seine Idee sei es, das Spiel zu kontrollieren und Tore zu schießen.

Deschamps trainiert ohne Zweifel eine der talentiertesten Generationen Frankreichs, doch hat er es auch geschafft, dem Team Struktur und Balance zu geben. Die Équipe Tricolore spielt unter ihm zwar keinen spektakulären Fußball – aber einen höchst erfolgreichen. Seit Deschamps Amtsübernahme 2012 verlor Frankreich nur zwei WM-Spiele: das Viertelfinale 2014 gegen Deutschland und das unbedeutende letzte Gruppenspiel 2022 gegen Tunesien.

Dem ehemaligen Profi von Juventus Turin und Olympique Marseille gelang es, das vorher oft zerstrittene Team zu einen. Er hielt die Stimmung auch nach den Ausfällen der erfahrenen Karim Benzema, Paul Pogba und N’Golo Kanté hoch. Und er lernte aus dem schmerzhaften Achtelfinal-Aus bei der EM 2021 gegen die Schweiz. «Er hat daraus die richtigen Schlüsse gezogen, eine neue Entwicklung eingeleitet und eine super Arbeit geleistet», sagte Djorkaeff.

Wie es für Deschamps nach der WM weitergeht, ist dennoch offen. Sein Vertrag läuft aus, ein Rücktritt gilt nicht als ausgeschlossen. Der umstrittene Verbandspräsident Noël Le Graët erklärte, mit ihm verlängern zu wollen. «Die Entscheidung liegt bei ihm», sagte der 80-Jährige. Als potenzieller Nachfolger stünde Deschamps‘ früherer Weggefährte Zinédine Zidane bereit, der laut Medien schon lange auf den Job spekuliert. Nachdem sich Macron für Deschamps starkgemacht hatte, gab der ohnehin das wichtigere Ziel aus: «Und jetzt den Pokal!»

Miriam Schmidt, Sebastian Stiekel, Jan Mies und Nils Bastek, dpa