Deutsche Leichtathleten wollen Rio-Bilanz in Tokio toppen

Mit Meeresrauschen, Trommelrhythmen und markigen Worten sind die deutschen Leichathleten auf die olympischen Medaillenkämpfe in Tokio eingeschworen worden.

«Ich wünsche euch, dass ihr euch keine Grenzen setzt, mit der nötigen Lockerheit und gekrönt von Erfolg», sagte Idriss Gonschinska, Vorstandsvorsitzender des Verbandes, auf einer Teamsitzung im Trainingslager an der Küste im japanischen Miyazaki. «Ich bin froh, wenn ich die ganze positive Energie, die ich gesammelt habe, im Wettkampf endlich rauslassen kann», sagte Oleg Zernikel, der nationale Stabhochsprung-Meister.

Ob diese Motivationskünste den 89 Topleichtathleten den nötigen Olympia-Schub geben? Nach den großen Worten müssen von Freitag an im Kasumigaoka National Stadium (Groß-)Taten folgen. Die Bilanz von Rio 2016 mit zweimal Gold und einmal Bronze dürfte dabei weniger Orientierung denn Aufforderung sein, in Tokio mehr zu bieten.

Ziel: Besser als in Rio

«Ich sehe die Möglichkeit, in Tokio besser abzuschneiden», sagte Annett Stein, Cheftrainerin des Deutschen Leichtathletik-Verbandes. «Das ist wichtig für die Wahrnehmung unserer Sportart.»

Auch DLV-Präsident Jürgen Kessing wünscht sich mehr Zählbares als vor fünf Jahren. «Medaillen will ich nicht vorhersagen, hoffe aber als Optimist auf ein erfolgreicheres Abschneiden in Tokio.» Die Spiele 2012 in London wären mit acht Medaillen (1 Gold, 4 Silber, 3 Bronze) eine Messlatte. Auf asiatischem Boden lief es 2008 in Peking dagegen mit lediglich einer olympischen Silbermedaille dramatisch schlecht.

Im deutschen Team gibt es eine Reihe von Athleten, die Medaillenkandidaten sind, aber auch prominente Ausfälle wie die Olympiasieger Thomas Röhler (Speer) und Christoph Harting (Diskus) oder die Ex-Weltmeister David Storl (Kugel) und Raphael Holzdeppe (Stabhoch). Die ehemalige EM-Dritte Gina Lückenkemper verfehlte die Olympia-Norm, profitierte aber noch vom Ausfall von zwei Sprint-Kolleginnen und darf nun doch in Tokio rennen.

Vetter Top-Goldfavorit

DLV-Topfavorit Nummer eins ist Speerwerfer Johannes Vetter. Der Ex-Weltmeister führt die Weltjahresbestenliste mit 96,29 und damit fast zehn Metern Vorsprung an. «Das Ziel ist Gold, ganz klar!», bekräftigte der 28-Jährige den Anspruch auf den Olympiasieg. Showtime für Vetter ist am letzten Tag der olympischen Leichtathletik (7. August). Eine Pole-Position für eine Medaille hat auch Speer-Kollegin Christin Hussong, die als zweitbeste Werferin auf der Welt 2021 antritt.

Zweifel gibt es, ob Weitspringerin Malaika Mihambo wie beim WM-Titelgewinn 2019, wo sie bei 7,30 Meter landete, wieder so ein Riesensatz gelingt. Bisher stehen nur 6,92 Meter zu Buche und sechs Sieben-Meter-Springerinnen vor ihr in der Startliste. «Ich schreibe mich nicht ab», unterstrich die 27-jährige «Sportlerin des Jahres».

Kaul nennt kein Ziel

Keine großen Töne schlägt der zweite Weltmeister von Doha an, der Zehnkämpfer Niklas Kaul. Einerseits gebe es Sicherheit, «einmal ganz oben bei einer WM auf dem Treppchen» gestanden zu haben, zum anderen erhöhe es den Druck. Statt ein Ziel zu nennen, sagt er: «Wir starten alle mit null Punkten.» Für Siebenkämpferin Carolin Schäfer, seine Trainingspartnerin, gilt dies auch. Sie will trotz Zwangspause durch eine Corona-Impfreaktion um eine Medaille kämpfen. «Sie fliegt nicht nach Tokio, um Zehnte zu werden», sagte Stein.

Ambitioniert und mit großem Ehrgeiz gehen zwei Läuferinnen in die Olympia-Rennen. «Ja, bei den Olympischen Spielen möchte ich eine Medaille», sagte die 29-jährige WM-Dritte und Hindernisläuferin Gesa Krause. Vor den Tokio-Spielen verbrachte sie acht Monate in Höhentrainingslagern, um mit den Afrikanerinnen mithalten zu können.

Auch Konstanze Klosterhalfen hat in ihrer US-Wahlheimat alles getan, um über 10.000 Meter vorne dabei zu sein. Zu viel? «Ich habe mich von den Erwartungen komplett gelöst, weil es schwer einzuschätzen ist, wo ich im Moment stehe», sagte die WM-Dritte über 5000 Meter. Becken- und Rückenprobleme beeinträchtigten sie längere Zeit.

Die Rolle der Türöffner für erfolgreiche Spiele haben Christina Schwanitz und Daniel Jasinski. Für die 35 Jahre alte Ex-Weltmeisterin im Kugelstoßen könnte schon die Qualifikation zur Hürde werden. Mit 18,63 Metern steht sie an 25. Stelle der Weltrangliste. Ein im März zugezogener Bandscheibenvorfall ließ mehr (bisher) in dieser Saison nicht zu. Abschreiben will sie Cheftrainerin Stein nicht: «Mit der Form ist sie auf dem aufsteigenden Ast.»

Bei dem Olympia-Dritten Jasinski ist es hingegen so gut wie lange nicht mehr vor Tokio gelaufen. Mit in diesem Jahr geworfenen 67,47 Metern gehört er zu den Top Ten der Diskus-Welt. «Meine physischen Werte sind gut wie nie. Jetzt muss ich das in Weite umsetzen», sagte er. «Aber ich bin sehr zuversichtlich.»

Von Andreas Schirmer und Martin Moravec, dpa