Jule Niemeier bejubelte ihren Sensationscoup über die Weltranglisten-Dritte und erhielt ein anerkennendes Lob von Angelique Kerber. Angeführt von der Wimbledon-Debütantin und der Gewinnerin von 2018 sind vier deutsche Tennisprofis in die dritte Runde des Rasen-Klassikers gestürmt.
Der unerwartetste Erfolg gelang der 22 Jahre alten Niemeier, die der an Nummer zwei gesetzten Anett Kontaveit aus Estland keine Chance ließ und den größten Moment ihrer bisherigen Karriere feierte. Vor ihrem eigenen Sieg beobachtete Kerber auch den zweiten Satz von Niemeier. «Ich freue mich für sie, das hat sie wirklich gut gemacht», sagte die deutsche Nummer eins. Oscar Otte profitierte nach nur 15 Minuten von der Aufgabe seines Gegners, Tatjana Maria machte das deutsche Quartett komplett.
Kerber: «Es war ein solides Match von mir»
«Ich bin sprachlos, um ehrlich zu sein. Das Spiel auf Court 1 in Wimbledon zu gewinnen, ist ein großartiges Gefühl», sagte Niemeier selbst nach dem 6:4, 6:0 in nur 58 Minuten überwältigt auf dem Platz. Wenig später gab sie sich in ihrer trockenen Art selbstbewusst: «Ich denke, dass ich eigentlich fast jede Gegnerin schlagen kann, die hier ist. Das habe ich auch heute gezeigt.»
Dieses Gefühl kennt auch Kerber. Die 34-Jährige hatte mehr Mühe als Niemeier, erledigte aber ihre Aufgabe beim 6:3, 6:3 gegen die Polin Magda Linette ebenfalls ohne größere Probleme. «Es war ein solides Match von mir», sagte Kerber. «Ich bin zufrieden mit meiner Leistung und bin froh, dass ich das in zwei Sätzen gewonnen habe.»
Sie steht zum neunten Mal beim Rasen-Klassiker unter den besten 32 und ist auch gegen die Belgierin Elise Mertens oder Panna Udvardy aus Ungarn klar favorisiert. «Ich versuche, konstant weiter mein Rasentennis durchzuspielen, aggressiv zu bleiben auch in den wichtigen Momenten.» Nach 85 Minuten verwandelte die Kielerin ihren ersten Matchball und ist dieses Jahr in Wimbledon weiter ohne Satzverlust.
Otte profitiert von Aufgabe seines Gegners
Deutlich schneller ging es für Oscar Otte in die nächste Runde. Gegner Christian Harrison aus den USA gab nach nur 15 Minuten beim Stand von 3:1 für Otte im ersten Satz auf. «Ich war sehr überrascht. Ich habe zwar direkt gemerkt, dass er sich nicht bewegen kann, aber es ist immer noch Wimbledon», sagte der Kölner, der sich über die gesparte Kraft freute: «Klar, hilft das.»
Otte, in Wimbledon ohne den verletzt fehlenden Olympiasieger Alexander Zverev deutsche Nummer eins bei den Herren, bekommt es nun mit dem spanischen Jungstar Carlos Alcaraz oder Tallon Griekspoor aus den Niederlanden zu tun. Anschließend erreichte Maria durch ein 6:3, 1:6, 7:5 gegen die Rumänin Sorana Cirstea zum zweiten Mal nach 2015 in ihrer Karriere die dritte Runde in Wimbledon. «Es war ein Auf und Ab», sagte die zweifache Mutter. «Es bedeutet mir sehr viel. 2015 war das erste Wimbledon mit (Tochter) Charlotte. Und ist es das erste Mal, dass ich Wimbledon mit zwei Kindern spiele.» Maria hat gegen die an Nummer fünf gesetzte Griechin Maria Sakkari nun eine sehr schwere Aufgabe.
Niemeier dominiert Top-Ten-Spielerin
Während die 34 Jahre alte Maria ebenfalls Außenseiterin war, gelang Niemeier ein echter Coup. Bei ihrem Duell mit einer Top-Ten-Spielerin dominierte sie nach ausgeglichenem Beginn die an Nummer zwei gesetzte Gegnerin nach Belieben. «Ganz stark und weiter geht‘s», gratulierte Damen-Bundestrainerin Barbara Rittner. Für den größten Erfolg ihrer Karriere kassiert Niemeier mehr als 138.000 Euro und trifft nun auf Lessia Zurenko aus der Ukraine.
Im vergangenen Jahr hatte Niemeier noch ganz knapp den erstmaligen Sprung ins Wimbledon-Hauptfeld verpasst und ist nach den French Open vor einem Monat erst das zweite Mal bei einem Grand Slam dabei. «Ich versuche das alles hier aufzusaugen, ich weiß immer noch nicht ganz, wo ich lang laufen muss», sagte sie vor dem Match über ihre Erfahrung in Wimbledon, wo sie auch Rafael Nadal beim Training bestaunte. Anfang Juni gelang dem Fußball-Fan von Borussia Dortmund der erste Titelgewinn auf der WTA-Tour beim Turnier im kroatischen Makarska.
Petkovic «setzt große Stücke» auf Niemeier
Dies traute eine erfahrene Deutsche ihr schon lange zu. «Ich setze große Stücke auf sie, in der Hoffnung, dass sie gesund bleibt und verletzungsfrei, das ist das Wichtigste», sagte die 34 Jahre alte Andrea Petkovic bereits über Niemeier. «Spielerisch ist sie für mich eine absolute Top-20-Spielerin. Das weiß sie, das sage ich ihr jeden Tag sieben bis achtmal.»
Im zweitgrößten Wimbledon-Stadion zeigte Niemeier von Beginn an keine Nerven und hielt mit Kontaveit mit. Mit Übersicht und Spielwitz setzte sie ihre Gegnerin unter Druck und nutzte ihren zweiten Satzball nach 32 Minuten mit einer fein platzierten langen Vorhand.
Kontaveit zeigte Nerven, kassierte durch einen Doppelfehler direkt zu Beginn des zweiten Satzes ein erneutes Break. Niemeier zog locker davon und nutzte erbarmungslos die Schwächen ihrer Gegnerin. Nach einem weiteren Fehler von Kontaveit war der Coup perfekt.