Deutschland-Achter rudert im roten Bereich zu Silber

Als bei den Hünen des Deutschland-Achters die erste Enttäuschung über das gescheiterte Projekt Olympia-Gold verflogen war, gab Schlagmann Hannes Ocik noch in der Bucht von Tokio den Party-Befehl.

«Im Rahmen unserer Möglichkeiten werden wir das Maximum rausholen. Der Rahmen ist das Olympische Dorf und die Abreise ist für übermorgen geplant. Mal gucken, ob uns die Japaner früher nach Hause schicken», sagte der Rostocker nach der überraschenden Niederlage gegen den neuen Olympiasieger Neuseeland.

Das Maximum hatten Ocik und Co. zuvor auch auf der 2000 Meter langen Regattabahn aus ihren Körpern geholt, als sich das deutsche Boot schon kurz nach dem Start unter Donnergrollen und dunklen Wolken an die Spitze gesetzt hatte. «Wir sind von vorn am Limit gefahren. Auf der zweiten Hälfte wurde bei mir das Licht schwarz», sagte Ocik und blickte an der Tokyo Gate Bridge in die Augen seiner Teamkollegen. «Und ich weiß, wenn es bei mir schwarz ist, ist es bei den anderen schon aus. Da sind wir in einem Bereich, wo wir uns nicht mehr aktiv steuern können. Das passiert alles unterbewusst.»

IOC-Chef schaut zu

Unter den Augen von IOC-Chef Thomas Bach war Neuseeland für das deutsche Flaggschiff einfach nicht zu knacken. «Uns war bewusst, dass sie ihre Top-Leute in den Achter gesteckt haben. Sie haben hier den Höhepunkt erreicht und ihr bestes Rennen abgeliefert», sagte Johannes Weißenfeld. Im Endspurt musste das DRV-Boot Silber vor Großbritannien und den USA retten, was bravourös gelang. «Da hat man dann nur noch ein Flackern in den Augen», erklärte Ocik.

Bei vollem Bewusstsein genoss das Paradeboot des Deutschen Ruderverbandes dann die Siegerehrung. Viele hatten feuchte Augen, als ihnen Steuermann Martin Sauer die Medaillen um den Hals hing. Sauer war schon 2012 beim bisher einzigen Olympiasieg nach der Wende dabei und saß am Sea Forest Waterway zum letzten Mal im Achter. Seine Gefühle behielt er betont unter Kontrolle. «Es ist zu früh, um nostalgisch zu werden», sagte der Berliner. «Es war mein letztes Rennen, aber ich bin ja nicht tot. Mein Leben geht weiter.»

Ihr Leben in Japan werden Sauer und Co. wohl nicht vermissen. Zu sehr hatten ihnen die Corona-Auflagen bei ihrem fast einmonatigen Aufenthalt zugesetzt. «Wir haben vieles gesehen und doch nichts gesehen», sagte Ocik. Über zwei Wochen war der Achter im Trainingslager in einer Blase, wo außer Training nicht viel passierte. «Der Wechsel ins Dorf hat uns gut getan, um frischen Wind zu kriegen. Für mich waren das Olympische Spiele der Kompromissbereitschaft.»

Bundestrainer kann mit Silber «Leben»

Seine letzten Olympischen Spiele erlebte auch Ralf Holtmeyer als Bundestrainer. Die Bilanz sieht mit nur zwei Silbermedaillen mäßig aus, erstmals seit dem Flop von Peking gab es kein Gold für den DRV. «Ich kann damit Leben», betonte Holtmeyer. Der 65-Jährige wies dabei auf die schwierigen Bedingungen vom Mittwoch und Donnerstag hin, der den Doppel-Vierer der Frauen und Einzel-Goldkandidat Oliver Zeidler die Medaillen kosteten. «Dass wir aber nur sieben Boote qualifiziert hatten, ist zu wenig. Es hätten neun oder zehn sein müssen.»

Der scheidende Bundestrainer kritisierte vor allem die Denke im deutschen Rudern. «Man will Vereinsboote zu Olympia schicken. Aber wer macht das denn noch? Neuseeland und Großbritannien zentralisieren und bei uns soll es noch so laufen wie vor 60 Jahren», sagte der Niedersachse. Er hoffe, dass es vor allem in der Trainerausbildung ein Umdenken geben werde. «Die Gesellschaft lebt vom Wechselspiel der Generationen. Das haben wir nicht. Wir lieben durchaus den Erfolg, aber nicht den Weg dahin.»

Einer-Ruderer Zeidler siegt im B-Finale

So blieben die zweiten Plätze des Achters sowie des Leichtgewichts-Doppelzweiers Jonathan Rommelmann und Jason Osborne. Vor allem die verpasste Medaille von Zeidler, der im Halbfinale gescheitert war, hatte der DRV nicht auf dem Zettel. Zeidler selbst ohnehin nicht, der noch nach seinem Sieg im B-Finale sehr mitgenommen wirkte und im Zielbereich weinte.

«Das dauert, bis ich das verkraftet habe», sagte Zeidler und kündigte aber die Fortsetzung seiner Karriere an: «Ich will auf jeden Fall weitermachen. Das tue ich auch für meinen Vater, für die ganze Arbeit, die er reingesteckt hat.» Statt des Bayern jubelte der Grieche Stefanos Ntouskos, der mit olympischer Bestzeit überraschend Gold gewann.

Von Tom Bachmann und Stefan Tabeling, dpa