DFB-Team reist blamiert nach Vorrunde heim

Das WM-Debakel setzte Hansi Flick sichtlich zu. Mit ruhiger Stimme versuchte der Bundestrainer, die «riesengroße» Enttäuschung von Al-Chaur zu überspielen.

Während Thomas Müller im TV emotional schon von Abschied sprach, will Flick bleiben. «Von meiner Seite schon, mir macht es Spaß. Wir haben eine gute Mannschaft, gute Spieler, die nachkommen. Von daher liegt es nicht an mir», sagte der Bundestrainer in der ARD. Vier Jahre nach dem historischen Vorrunden-Aus bei der WM 2018 liegt der deutsche Fußball aber schon wieder am Boden.

Das dürftige 4:2 (1:0) im letzten Gruppenspiel gegen das limitierte Costa Rica nach späten Joker-Toren von Kai Havertz (73./85. Minute) und Niclas Füllkrug (89.) reichte im Al-Bait Stadion nicht für den Einzug in die K.o.-Runde. Japans überraschender 2:1-Sieg gegen Spanien riss die DFB-Auswahl aus allen Achtelfinal-Hoffnungen.

«Falls das mein letztes Spiel für Deutschland gewesen sein sollte, dann möchte ich ein paar Worte an alle deutschen Fußball-Fans, die mich in allen Jahren begleitet haben, richten», sagte Müller nach seinem 121. Länderspiel. «Es war ein enormer Genuss. Liebe Leute, vielen Dank. Wir haben unglaubliche Momente miteinander gehabt.» Alles Weitere müsse er «erst mal sehen».

Flick will Debakel schnell aufarbeiten

Während der Pressekonferenz sagte Flick, er wolle das WM-Debakel «sehr, sehr schnell» aufarbeiten. «Ich bin immer einer, der sehr kritisch ist, und das wird auch in die Analyse mit einfließen.» Aus der Kabine berichtete der Bundestrainer, auch dort sei die Enttäuschung «riesengroß» gewesen.

Nach einer erneut missratenen Vorrunde fliegen die mit Titelträumen angereisten deutschen Spieler entzaubert zurück nach Deutschland, wo auf den DFB, Flick und Nationalmannschafts-Direktor Oliver Bierhoff unruhige Adventstage mit kritischen Fragen nach der Zukunft warten. Bierhoff wollte keine persönlichen Konsequenzen ziehen. «Das schließe ich gerade aus», sagte der 54-Jährige. Er verwies auf seine 18 Jahre Arbeit für den DFB und mahnte, seine gesamte Bilanz zu betrachten. «Ich habe ein sehr gutes Gefühl für mich.»

Das Kopfballtor von Serge Gnabry (10. Minute) in der schwungvollen Anfangsphase entpuppte sich als Täuschung einer Mannschaft, die ihre Qualität zu selten wie beim 1:1 gegen Spanien auf den Platz brachte. Yeltsin Tejeda (58.) und Juan Pablo Vargas (70.) brachten vor 67.054 Zuschauern im Al-Bait-Stadion den Außenseiter sogar kurz in Führung. Die drei späten Tore sicherten dem DFB-Team zwar noch den Sieg, aber nicht mehr den Einzug in die K.o.-Runde.

«Die Enttäuschung ist enorm», gestand Routinier Thomas Müller, der einen Rücktritt aus der Nationalmannschaft andeutete. «Es ist ein bissl ein Ohnmachtsgefühl. Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Das ganze Unglück ist mit dem Ergebnis gegen Japan passiert», sagte Müller mit Blick auf die 1:2-Auftaktpleite. «Wir müssen uns an unsere eigene Nase packen. Das Spiel gegen Japan hat alles kaputt gemacht», urteilte auch Doppel-Torschütze Havertz.

Schiedsrichterin Frappart schreibt Geschichte

Fast eine Randnotiz war da der Auftritt von Schiedsrichterin Stéphanie Frappart. Die 38 Jahre alte Französin leitete als erste Frau in der Historie ein Spiel der Fußball-WM der Männer und hatte das Geschehen gut im Griff.

Trotz aller Rufe nach einem Startelf-Platz für Superjoker Füllkrug setzte Coach Flick zu Beginn total auf «seine» ehemaligen Bayern-Spieler. Alle sieben verfügbaren Münchner liefen auf, ganz vorn Thomas Müller. Leroy Sané kam als einziger neu ins Team. Joshua Kimmich rückte aus dem zentralen Mittelfeld auf die rechte Abwehrseite und ersetzte dort Thilo Kehrer. Füllkrug bekam wieder die Joker-Rolle. «Eine schwere Entscheidung», sagte DFB-Direktor Oliver Bierhoff. Flick verriet, diese Frage lange offen gehalten zu haben.

Keinen Zweifel gab es am Einsatz von Kapitän Manuel Neuer, der mit seinem 19. Spiel bei einer Weltmeisterschaft zum WM-Rekordtorhüter wurde. Er löste damit den deutschen Weltmeister von 1974, Sepp Maier, und Brasiliens Claudio Taffarel ab, die jeweils 18 Mal bei einer WM spielten.

Motivation vor dem Anpfiff

Vor dem Anpfiff schwor Neuer sein Team noch einmal mit einigen Worten ein, dann begann das erwartete Spiel. Der Favorit war sofort drückend überlegen. Costa Rica stand tief in der eigenen Hälfte – und doch fanden Flicks Schützlinge schnell Lücken. Jamal Musiala scheiterte in der 2. Minute noch an Keeper Keylor Navas. Müller setzte völlig frei einen Kopfball daneben (9.).

Der nächste Anlauf passte: David Raums Flanke fand den unbehelligten Gnabry, der per Kopf vollstreckte. Es war das erste Kopfballtor des 27-Jährigen im Nationaltrikot. Dazu kam frohe Kunde vom Parallelspiel, auch Spanien war gegen Japan in Führung gegangen und ließ die deutschen Achtelfinal-Hoffnungen weiter steigen.

Erst zum zweiten Mal traf eine deutsche Mannschaft auf eine Auswahl Costa Ricas. Das 4:2 im Eröffnungsspiel der Heim-WM 2006 lieferte einst den Auftakt zum Sommermärchen. 16 Jahre später war vor allem Jungstar Musiala für das Spektakel zuständig, bei seinen Aktionen wurde es auch im Publikum laut.

Flick hatte seine sehr offensive Taktik voll auf den vermuteten Einbahnstraßen-Fußball ausgerichtet. Kimmich und Raum agierten nahezu als Außenstürmer, Sané sorgte in seinem 50. Länderspiel für Tempo.

Nach dem gelungenen Start tat sich die deutsche Elf jedoch immer schwerer gegen den nun besser postierten Außenseiter. In der Mitte waren die Wege oft versperrt, Flanken von außen fanden selten einen Adressaten. Oft agierte das DFB-Team zu verspielt rund um den Strafraum, anstatt kühl und schnörkellos den Abschluss zu suchen. Die mangelnde Effizienz war wie in den ersten beiden Partien in Katar erneut ein Manko, vor allem Müller spielte vorn wieder glücklos.

Fast wäre das noch vor der Pause bestraft worden. Raum und Abwehrchef Antonio Rüdiger patzten bei einem eigentlich harmlosen Angriffsball schwer, Neuers Glanztat verhinderte beim Schuss von Keysher Fuller den Ausgleich (42.). Fuller hatte mit seinem Siegtor gegen Japan der deutschen Mannschaft erst die Tür zur K.o.-Runde wieder weiter geöffnet, damit aber auch Costa Rica nach dem 0:7 gegen Spanien zurück ins Spiel gebracht.

Nerven der DFB-Spielern flattern

In der zweiten Halbzeit ging es für die deutsche Mannschaft dann rasant bergab. Leon Goretzka musste mit muskulären Problemen weichen, Lukas Klostermann kam. Dann machte die Nachricht von Japans Doppelschlag gegen Spanien im Stadion die Runde. Das erneute Vorrunden-Aus rückte ganz nah, die Nerven von Flicks Mannen flatterten.

Prompt unterlief Raum ein Fehlpass, Costa Rica konterte rasant. Kendall Wastons Kopfball parierte Neuer noch, bei Tejedas Nachschuss war er machtlos. Nichts lief nun mehr für die Deutschen, gleich zweimal scheiterte Musiala am rechten Torpfosten (61./67.).

Flick hatte längst reagiert, nach Füllkug schickte er auch Havertz und den WM-Siegtorschützen Mario Götze aufs Feld. Doch es kam noch schlimmer. Nach einem Freistoß herrschte Chaos im deutschen Strafraum, Vargas bezwang Neuer artistisch im zweiten Versuch.

Jetzt war es ein offener Schlagabtausch. Havertz blieb nach Füllkrugs Zuspiel cool und hob den Ball zum Ausgleich über Navas hinweg. Kurz darauf hätte Füllkrug dann fast selbst wieder zugeschlagen, doch nach einem tollen Konter warf sich Navas noch in seinen Schuss aus Nahdistanz. So war es wieder Havertz, der nach Gnabrys Flanke vollstreckte und die Partie drehte. Füllkrug stellte den Endstand her, sein Treffer zählte nach Videobeweis. Doch das war am Ende zu wenig.

Klaus Bergmann, Arne Richter, Jens Marx und Jan Mies, dpa