DFB-Vize Ratzeburg: «Natürlich war ich öfter enttäuscht»

Hannelore Ratzeburg würde sich freuen, wenn künftig eine Frau an der Spitze des krisengebeutelten Deutschen Fußball-Bundes steht.

«Aber nicht mit dem Argument, die Männer haben es an die Wand gefahren, jetzt soll es eine Frau richten», sagt die Hamburgerin. Im Interview der Deutschen Presse-Agentur kurz vor ihrem 70. Geburtstag äußert sich die DFB-Vizepräsidentin auch über die Führungsstreitigkeiten im Verband, die Frauen-Initiative «Fußball kann mehr» und ihre «Kärrnerarbeit» über Jahrzehnte hinweg.

1995 waren Sie die erste Frau im DFB-Vorstand – und sind bis heute die einzige. Sie haben mal erzählt, dass Kollegen Zeitung gelesen haben, wenn Sie früher das Wort ergriffen. Wie ist es heute?

Hannelore Ratzeburg: Heute ist es nicht mehr so – heute liest ja kaum noch jemand Zeitung. Das findet dann etwas diskreter mit dem Handy statt. Jeder will ja informiert sein über die Dinge auf der Welt. Das ist auch bei mir so, dass man in Sitzungen da oft drauf schaut. Das war damals übrigens im Spielausschuss. Ich habe dann einfach nicht weitergeredet und als ich vom Vorsitzenden gefragt wurde, warum, sagte ich: Gucken Sie sich doch mal um, es interessiert doch sowieso keinen!

Wie fühlen Sie sich nach all den Jahren – als Quotenfrau, einsame Vorzeigefunktionärin, unermüdliche Kämpferin für den Frauenfußball?

Ratzeburg: Man kann ja fast sagen, dass ich zum Urgestein des DFB gehöre. Ratzeburg war eigentlich immer da! Es fühlt sich gut an, aber ich weiß, dass wir noch unendlich viel zu arbeiten haben, weil die Mühlen langsam mahlen. Es ist eben schwierig mit 21 Landesverbänden, mit so viel Vereinen, mit so vielen Menschen, die da ehrenamtlich tätig sind.

Sie werden jetzt 70 und haben den Frauenfußball von Anfang an begleitet. Was möchten Sie noch erreichen und wie lange bleiben Sie noch im Amt?

Ratzeburg: Wir haben ja beim DFB die Altersgrenze bei 70. Das heißt, auf dem Bundestag im nächsten Jahr wird meine Zeit beim DFB beendet sein. Es ist eine tolle Zeit gewesen und vieles wurde auf den Weg gebracht. Wenn ich gehe, weiß ich, dass eine Nachfolgerin noch viel zu tun hat: Erreichen wir noch die Mädchen? Welche Wettbewerbe müssen hinterfragt werden? Mir war es schon immer ein Anliegen, dass mehr Frauen eingebunden werden. Heute heißt das Gleichstellungsbeauftragte. Das war schon Kärrnerarbeit.

Also ist auch einiges an Frust dabei?

Ratzeburg: Frust? Ich bin schon hart im Nehmen. Meine Devise war immer: Wenn die Situation gerade schwierig ist oder andere Themen – Männerfußball natürlich – im Vordergrund standen, dann habe ich schon mal bis zur nächsten Sitzung gewartet und überlegt, wie ich mein Anliegen vortrage. Natürlich war ich öfter enttäuscht. Aber ich bin mehr denn je davon überzeugt, dass der Frauenfußball eine Riesenzukunft hat.

Sie sind seit 2007 Vizepräsidentin beim DFB, der in einer tiefen Krise steckt und von Rücktritten und Führungsstreitigkeiten geprägt ist. Fühlen Sie sich mitverantwortlich?

Ratzeburg: Das ist schwierig. Es steckt ja nicht der gesamte Verband in Schwierigkeiten, sondern es ist eher das Problem, dass Menschen unterschiedliche Auffassungen haben – zum Beispiel im Präsidialausschuss mit Vertretern des DFB und der DFL. Das hat zu Auseinandersetzungen geführt, die auch in der Öffentlichkeit ausgetragen wurden. Ich erlebe es nicht so, dass der Gesamtverband in der Krise steckt. Bis zum vorgezogenen Bundestag gilt es aber, aufzuklären, was aufzuklären ist.

Was muss der Nachfolger von Verbandspräsident Fritz Keller mitbringen?

Ratzeburg: Auf jeden Fall muss es eine Person sein, die in der Lage ist, den Amateur- und Profibereich zusammenzuhalten. Und unser starkes gesellschaftliches Engagement, was oft nicht so bekannt ist, medial verkaufen kann. Und wohl auch ein breites Kreuz haben.

Viele sagen: Es wird Zeit für eine Frau an der DFB-Spitze. Wie stehen Sie dazu?

Ratzeburg: Es wäre natürlich toll, wenn wir mehr Frauen hätten. Generell sollten wir offen sein. Aber dass jetzt zwingend eine Frau an der Spitze stehen soll, wirkt auf mich etwas seltsam. Ich würde mich freuen, wenn es eine Frau würde – aber nicht mit dem Argument, die Männer haben es an die Wand gefahren, jetzt soll es eine Frau richten.

Mit der Initiative «Fußball kann mehr» haben neun Frauen mehr Geschlechtergerechtigkeit gefordert und eine Frauenquote von 30 Prozent in Führungspositionen bei Fußballverbänden. Teilen Sie die Positionen von Katja Kraus, Bibiana Steinhaus-Webb und anderen?

Ratzeburg: Der Forderungskatalog ist ja an den DFB geschickt worden. Die Interimspräsidenten werden als erste mit der Gruppe sprechen. Die Forderungen sind nicht von der Hand zu weisen, sie decken sich in einigen Punkten mit unseren aktuellen Maßnahmen und Programmen. Wir sehen das als sehr positiv. Manchmal hilft es ja, von außen angestoßen zu werden.

Die frühere Bundesliga-Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus-Webb hat nach eigenen Aussagen Druck wegen ihres Engagements in der Gruppe bekommen. Haben Sie mit ihr gesprochen?

Ratzeburg: Ich weiß nicht, was es da für ein Gespräch gab. Ich habe jedenfalls versucht, mit ihr Kontakt aufzunehmen und auch eine Antwort bekommen. Allerdings ist sie im Urlaub.

Heike Ullrich ist Direktorin für Verbände, Vereine und Ligen beim DFB und nach dem Abgang von Friedrich Curtius interimsmäßig Generalsekretärin. Wie sind ihre Chancen, auf Dauer höchste hauptamtliche DFB-Mitarbeiterin zu werden?

Ratzeburg: Das muss sie selbst entscheiden. Was sie zurzeit leistet, ist enorm. Sie macht das ganz toll in einer Zeit, die große Schwierigkeiten mit sich bringt. Es wird mit Sicherheit Gespräche geben.

ZUR PERSON: Hannelore Ratzeburg ist beim Deutschen Fußball-Bund Vizepräsidentin für Gleichstellung, Frauen- und Mädchenfußball. Die ledige Hamburgerin und Diplom-Sozialpädagogin spielte einst selbst Fußball und begann ihre Funktionärskarriere im Landesverband. Ratzeburg ist auch Delegationsleiterin der Frauen-Nationalmannschaft und seit 1980 Mitglied der UEFA-Kommission für Frauenfußball.

Interview: Ulrike John, dpa