Die EM und das Hooligan-Problem

Die EM und das Hooligan-Problem

Die Bundesinnenministerin ist sich sicher: «Für die Polizeien von Bund und Ländern wird die EM ein enormer Kraftakt», sagte Nancy Faeser am Tag vor dem Turnierbeginn. «Die Bundespolizei steht vor dem größten Einsatz in ihrer Geschichte.» Gleich am ersten EM-Wochenende kommt dabei ein Problem auf die Sicherheitskräfte zu, das anders als die Folgen des Ukraine-Kriegs oder mögliche Cyber-Attacken keine neue Bedrohungslage bei einem großen Fußball-Turnier ist: die Angst vor Hooligan-Krawallen.

Als erstes der insgesamt 51 EM-Spiele ist die Partie zwischen Serbien und England am Sonntagabend in Gelsenkirchen (21.00 Uhr/ZDF und MagentaTV) zum Hochrisiko-Spiel hochgestuft worden. 40 000 englische Fans, 8000 Serben – und was das größte Problem ist: Darunter etwa 500 polizeibekannte und gewaltbereite serbische Anhänger werden in der Stadt erwartet.

Nur Bier mit weniger Alkohol

Aus Sicherheitsgründen werden dann nicht nur mehr Polizisten im Einsatz sein als bei einem Revierderby zwischen den beiden Erzrivalen Schalke 04 und Borussia Dortmund, wie Gelsenkirchens Leitender Polizeidirektor Peter Both am Freitag bei einer Pressekonferenz bestätigte. Bei diesem Spiel ist auch nur der Verkauf einer Leicht-Bier-Variante mit halbem Alkoholgehalt erlaubt: 2,5 statt 4,8 Prozent, um das Eskalationsrisiko möglichst zu reduzieren.

Doch was als Nachricht durch zahlreiche europäische Medien wanderte, geht am Kern des Hooligan-Problems nach Meinung von Experten mittlerweile vorbei. Gewaltbereite Fans, die zum Stadion ziehen, sich betrinken und dann wahllos drauflos prügeln – das ist vor allem bei Hooligans aus Osteuropa und vom Balkan nur noch ein Klischee. «Die Hooligan-Szene hat sich und ihre Gewalt über die vergangenen Jahre stark professionalisiert», sagte der Fan-Forscher und Hooligan-Experte Robert Claus dem «Focus».

Der Autor sieht in Ländern wie Serbien, Kroatien, Ungarn oder Polen vor allem zwei Tendenzen: eine Überschneidung des Hooliganismus mit rechtsextremen Strukturen. Und eine straffe Organisation. «Es gibt heute kaum noch Hooligans, die keinen Kampfsport betreiben», sagte Claus. «Aus der Szene heraus sind private Fitnessstudios, Kampfsport-Events sowie Ausrüster-Firmen entstanden und somit auch Jobs.»

Hooligans stark vernetzt

Hooligans sind stark vernetzt – innerhalb ihrer jeweiligen Landesgrenzen und auch darüber hinaus. Bei den Massenschlägereien rund um das Finalturnier der Basketball-Euroleague am letzten Mai-Wochenende in Berlin attackierten Fans von Roter Stern Belgrad und Olympiakos Piräus gemeinsam die Anhänger von Panathinaikos Athen.

Die Serben spielten zwar gar nicht mit bei diesem Turnier. Aber Fangruppen von Roter Stern pflegen ihre Verbindungen, auch zu Rechtsradikalen, zur organisierten Kriminalität und vor allem zu prorussischen Gruppierungen. Das schließt den Kreis zu den schweren Ausschreitungen bei der Europameisterschaft 2016 in Frankreich, dem letzten EM-Turnier vor dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie. Damals griffen knapp 200 stramm organisierte russische Hooligans mehrere tausend englische Fans in Marseille an.

Ausländische Polizisten im EM-Einsatz

Um solche Szenen in deutschen EM-Städten zu verhindern, arbeiten die Sicherheitskräfte bei diesem Turnier auch eng mit ausländischen Polizisten zusammen. 580 von ihnen aus allen Teilnehmerländern werden während der EM in Deutschland selbst im Einsatz sein. Serbische oder polnische Polizisten erkennen serbische oder polnische Hooligans – das ist das Kalkül.

«Die internationalen Polizeikräfte sind ein Bindeglied zwischen unserer Polizei und den Fans und Gästen aus den teilnehmenden Staaten», sagte Innenministerin Faeser (SPD) am Donnerstag bei deren Begrüßung in Bamberg. «Schon die Präsenz von uniformierten Polizeibeamten aus der eigenen Heimat kann gegenüber möglichen Gewalttätern abschreckend wirken. So können wir gemeinsam zielgerichtet handeln und Gewalt verhindern.»

Um schon eine Einreise gewaltbereiter Fans zu verhindern, werden während der EM in mehreren Bundesländern die Grenzkontrollen verstärkt. In Mecklenburg-Vorpommern etwa hat die Bundespolizei verschärft die Übergänge nach Polen sowie die Fährhäfen nach Dänemark und Schweden im Auge – auch hier in enger Verbindung mit ihren polnischen Kollegen. 

«Wir haben einen internationalen Datenaustausch zu gewaltbereiten Hooligans», sagte Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) am Freitag im ZDF-«Morgenmagazin». «Es wird jedenfalls konsequent kontrolliert an den Grenzen. Und das ist wichtig und richtig so.»

Sebastian Stiekel, dpa