«Die fütternde Hand»: Putins Kontaktpflege zahlt sich aus

Doppel-Olympiasieger Jewgeni Rylow trug auf der Bühne neben seinen Medaillen aus Tokio ein «Z» in den Nationalfarben Russlands auf seiner Brust.

In nur wenigen Monaten hat sich das Publikum des Weltklasse-Schwimmers verändert: Statt Sportfans jubeln ihm nun Landsleute bei der Propaganda-Veranstaltung des Kreml im Moskauer Luschniki-Stadion zu, anlässlich des achten Jahrestages der Krim-Annexion am 18. März und den Einmarsch in die Ukraine feiern.

Sportliche Aushängeschilder spielen im System des Autokraten Wladimir Putin eine wichtige Rolle. Neben Rylow traten beim Propagandafest des Kreml Athleten wie Skilangläufer Alexander Bolschunow und Eiskunstläuferin Wiktorija Sinizina auf. Zur gleichen Zeit töteten russische Raketen ukrainische Zivilisten.

«Gewisse Abhängigkeit zum Staat»

Ob alle Auftritte freiwillig geschehen, ist fraglich. Viele Athleten dürften jetzt noch abhängiger vom Staat sein, vermuten Experten, da sich Sponsoren distanziert haben. «Man muss erkennen, dass die Sportler eine gewisse Abhängigkeit zum Staat, staatlichen Förderstellen und Konzernen haben. Da gilt das Prinzip: Man beißt nicht die Hand, die einen füttert», sagte Sportsoziologe Jan Haut von der Uni Wuppertal.

Vorteile von Athleten für Autokraten seien «ihre Popularität, ihr positives Image und ihre tendenzielle Abhängigkeit», sagte Politikwissenschaftler Till Müller-Schoell von der Deutschen Sporthochschule Köln. «Popularität und Image sind genau die Eigenschaften, die im günstigen Fall für Putin auf ihn übertragen werden. Die Abhängigkeit reduziert das Risiko, dass doch Kritik geübt wird.»

Der Auftritt von Schwimmer Rylow hatte schon ein Nachspiel: Wegen eines möglichen Verstoßes gegen Fina-Regeln führte die Disziplinarkommission des Schwimm-Weltverbands Ermittlungen gegen ihn. Zudem verlor er seinen Sponsor Speedo. Das «Z», das er trug und «Za Pobedu» (deutsch: «Auf den Sieg») bedeuten soll, ist mittlerweile ein nationalistisches Zeichen und prangt auf den in der Ukraine agierenden russischen Militärfahrzeugen. Auch Turner Iwan Kuliak hatte mit dem Zeichen beim Weltcup in Doha für einen Eklat gesorgt.

Wahlkampf-Hilfe von NHL-Star

Putin dürften diese Sympathie-Bekundungen gefallen. Gern ließ er sich in der Vergangenheit mit Sportlerinnen und Sportlern ablichten. Auch NHL-Star Alexander Owetschkin ist auf vielen Fotos mit ihm zu finden. Die russische Eishockey-Größe hatte sich 2017 in den Wahlkampf eingeschaltet und um Unterstützung für Putin geworben. Mehrere namhafte Athleten schlossen sich damals an.

Owetschkin, Spieler von den Washington Capitals, hat sich für eine beliebte Taktik in den Reihen der russischen Sportler in diesem Krieg entschieden: lieber allgemeine Friedensappelle ausrufen statt den Angriffskrieg klar zu verurteilen. Der 36 Jahre alte Russe – mittlerweile auf Rang drei der ewigen Torjägerliste in der NHL – forderte: «Bitte, keinen Krieg mehr. Wir müssen in Frieden leben.» Mit Kritik am Kreml hielt er sich zurück, er sei «kein Politiker».

«Er ist mein Präsident»

Owetschkin ist nun in den Augen vieler NHL-Fans außerhalb der US-Hauptstadt eine unbeliebte Person, wird seit dem Kriegsausbruch regelmäßig ausgepfiffen. «Er ist mein Präsident», sagte er und fügte hinzu: «Ich bin nicht in der Politik. Ich bin Sportler, und wie ich schon sagte, hoffe ich, dass alles bald erledigt sein wird. Es ist im Moment eine schwierige Situation für beide Seiten.»

In die Friedensriege mit möglichst zurückhaltender Kritik am Kreml hat sich auch die russische Tennis-Elite begeben. Daniil Medwedew, der derzeit mit dem Serben Novak Djokovic um die Spitze der Weltrangliste kämpft, bat wenige Tage nach Kriegsbeginn um «Frieden in der Welt». Andrej Rublew, derzeit Weltranglisten-Siebter, schrieb in englischer Sprache «Bitte kein Krieg» auf die Linse einer Fernsehkamera.

Eigentlich müssten die Athleten im Ausland «unabhängiger vom russischen Staat» sein, sagte Experte Haut: «Warum sie das nicht oder nur wenig nutzen, hängt möglicherweise damit zusammen, dass man den Unmut einiger Landsleute auf sich zieht und natürlich bei vielen Sportlern auch eine ideologische Nähe zu Putin besteht.»

Von vielen Athleten ist vor allem Schweigen zu vernehmen. Der ukrainische Ringer-Olympiasieger und Parlamentarier Schan Beleniuk lobte die sportübergreifenden Sanktionen gegen russische und belarussische Sportler. «Es ist gut, wenn sie zu Hause sitzen und darüber nachdenken, was hier gerade passiert. Ich weiß andererseits aber auch von belarussischen Athleten, die auf unserer Seite stehen, das öffentlich aus Angst vor Sanktionen allerdings nicht zeigen wollen», sagte Beleniuk.

Nur wenige Proteststimmen

Das russische Fußball-Idol Artjom Dsjuba, Sohn eines ukrainischen Vaters und einer russischen Mutter, bat darum, vorerst nicht mehr für die Nationalmannschaft nominiert zu werden. Manche interpretierten dies als zumindest leisen Protest. Wegen der Suspendierung Russlands kann die Auswahl ohnehin keine offiziellen Länderspiele derzeit bestreiten. Zuletzt spielte sie daher gegen die eigene U21. Djusbas Mannschaftskollege Fjodor Smolow veröffentlichte bei Instagram die Botschaft: «Nein zum Krieg».

Nur selten gibt es offene Gegenwehr: 44 russische Schachspieler – darunter der aufstrebende Daniil Dubow – verurteilten kurz nach Beginn des Einmarsches den Krieg in einem offenen Brief an Putin.

Manche Sportler und Künstler haben wegen möglicher Konsequenzen bei Kritik das Land verlassen. Die russische Primaballerina Olga Smirnowa hat nach Protesten gegen die Invasion das Moskauer Bolschoi Ballet verlassen, tanzt nun in Amsterdam beim Nationalen Ballet. Die 31-Jährige mit ukrainischem Großvater hatte sich deutlich gegen Krieg ausgesprochen und schrieb im Messenger Telegram: «Ich hätte nie gedacht, dass ich mich für Russland schämen würde.»

Von Felix Schröder, dpa