EM-Halbfinale winkt: Handballer im Stimmungshoch

Erst gab es eine knallharte Aussprache unter den Spielern, dann eine emotionale Ansprache des Bundestrainers – und plötzlich befinden sich die deutschen Handballer bei der Heim-EM wieder in einem Stimmungshoch und mittendrin im Medaillenrennen.

«Wir glauben ans Halbfinale», bekräftigte Bundestrainer Alfred Gislason vor dem abschließenden Hauptrundenspiel gegen Kroatien am Mittwoch (20.30 Uhr/ARD und Dyn) in Köln.

Beschwingt vom begeisternden Gala-Auftritt beim 35:28 gegen Ungarn, den am Montagabend mehr als acht Millionen Menschen vor den TV-Geräten mitverfolgten, stürzten sich seine Schützlinge nach einer kurzen Nacht in die Vorbereitung. «Es herrscht eine positive Stimmung, aber wir haben keine Party gefeiert», berichtete Kapitän Johannes Golla und mahnte: «Das gute Spiel kann ganz schnell wertlos werden, wenn wir gegen Kroatien nicht auf unser Niveau kommen.»

Halbfinale sogar mit Niederlage möglich

Dennoch: Nach dem zuvor ernüchternden Remis gegen Österreich herrscht wieder Euphorie in und rund um die Mannschaft, die den Einzug ins Halbfinale mit einem Sieg aus eigener Kraft perfekt machen kann. «Wir haben das Zepter wieder in der Hand», stellte DHB-Sportvorstand Axel Kromer erleichtert fest.

Als Tabellenzweiter der Gruppe I (5:3 Punkte) kann sich Deutschland sogar eine Niederlage leisten, wenn die Verfolger Ungarn und Österreich (4:4) ihre letzten Hauptrundenspiele nicht gewinnen. Das steht aber nicht zur Debatte. «Es ist für jeden eine der größten Chancen in seiner Karriere. Jeder wird froh sein, auf der Platte stehen zu dürfen und sich zerreißen», sagte Spielmacher Juri Knorr.

Im Falle des Weiterkommens wartet im Halbfinale am Freitag dann Weltmeister und Topfavorit Dänemark. Doch damit wollen sich Golla und Co. gar nicht beschäftigen. «Wir haben die einzigartige Chance, mit einer guten Leistung bei einer Heim-EM ins Halbfinale einzuziehen. Alles andere interessiert mich nicht», versicherte der 26 Jahre alte Kreisläufer von der SG Flensburg-Handewitt.

Kroatien könnte von Pleite gegen Deutschland profitieren

Er hofft gegen Kroatien auf ein weiteres stimmungsvolles Handball-Fest. «Wenn wir etwas erreichen wollen, geht es nur zusammen. Ohne die Fans würden wir nicht an dieses Limit kommen. Man sieht, wie viele Emotionen aus uns herauskommen. Das geht nicht ohne die Unterstützung der Zuschauer», sagte Golla.

In die Karten könnte dem DHB-Team die Tatsache spielen, dass es für die Kroaten im Turnier um nichts mehr geht. Mit Blick auf die noch nicht gesicherte Teilnahme an der Olympia-Qualifikation im Frühjahr könnte Kroatien aufgrund des komplizierten Reglements sogar von einer eigenen Niederlage profitieren.

«Diese Konstellation wirkt absurd», räumte Sportvorstand Kromer ein und versicherte zugleich: «Es ist in keiner Weise denkbar, dass wir es lockerer angehen, weil wir davon ausgehen, dass die Kroaten verlieren wollen.»

Torwart Wolff will etwas feiern

Im Gegenteil. Vielmehr soll mit einer Top-Leistung das Selbstvertrauen für den greifbar nahen Medaillenkampf weiter gestärkt werden. «Am Mittwoch kann es gerne genauso laufen, um dann mit Schwung die Dänen herauszufordern», sagte Torwart Andreas Wolff und bekräftigte: «Wir hoffen, dass wir nach dem Turnier etwas zu feiern haben.»

Gegen Ungarn zeigte die deutsche Mannschaft, wozu sie fähig ist. Das lag auch an einer schonungslosen Analyse am Tag vor dem Spiel. «Es gab harte und ehrliche Worte. Es gehört dazu, dass man Dinge anspricht, die nicht so gut laufen. Damit kann jeder gut umgehen, denn es ist nie etwas Persönliches, sondern hilft der Mannschaft», berichtete der mit acht Toren überragende Rückraumspieler Julian Köster.

Der 23-Jährige lieferte vorn wie hinten eine Weltklasse-Vorstellung ab und wurde dafür von seinen Teamkollegen mit viel Lob bedacht. «Julian ist ein fantastischer Spieler und unfassbar wichtig für die Mannschaft. Er ist im Innenblock unersetzlich und setzt auch im Angriff Akzente», sagte Wolff.

Auch zweite Reihe glänzt

Für Golla ist Köster «eine der tragenden Säulen im Team. Jeder sieht, wie wertvoll er ist. Er ist ein kommunikativer Mensch, der immer gute Laune versprüht und Verantwortung übernimmt. Julian ist aus der Mannschaft nicht mehr wegzudenken», sagte der DHB-Kapitän.

An einem Sahne-Tag glänzten in der deutschen Mannschaft mit Sebastian Heymann, Jannik Kohlbacher und Christoph Steinert aber auch Spieler, die sonst nicht so im Rampenlicht stehen. «Sie waren alle großartig», lobte Gislason.

Der Bundestrainer hatte seine Schützlinge für die knifflige Aufgabe optimal eingestellt und eingeschworen – und dabei auf Emotionen gesetzt. «Er hat eine andere Ansprache gewählt und gezeigt, was für ein großartiger Trainer und toller Mensch er ist. Das hat uns sehr berührt», berichtete Knorr.

Gislason selbst wollte über seine Kabinenansprache nichts verraten. «Das ist intern», sagte der 64 Jahre alte Isländer und fügte mit einem entspannten Lächeln hinzu: «Wenn ich nichts dazu beigetragen hätte, wäre es schon sehr eigenartig.»

Von Eric Dobias und Jordan Raza, dpa