Ende der «gmiatlichen Tage»: Geigers Job startet im Regen

Die «gmiatlichen Tage», die Karl Geiger mit Frau und Tochter rund um den kindersicheren Weihnachtsbaum verbracht hat, sind vorbei.

Statt heimeliger Wärme im Wohnzimmer erwartet den 28 Jahre alten Gelb-Träger direkt wieder der Ernst des Sportlerlebens: In seiner nasskalten Heimat Oberstdorf beginnt am 28. Dezember (16.30 Uhr/ARD und Eurosport) die 70. Vierschanzentournee der Skispringer, zunächst mit der Qualifikation. «Ich fühle mich der ganzen Sache gewachsen, ich fühle mich bereit. Ich freue mich auf die Wettkämpfe», sagte Geiger in einer digitalen Presserunde.

Als Gesamtführender startet der Lokalmatador natürlich als Favorit in das Prestigeevent, das coronabedingt erneut ohne Zuschauer auskommen muss. Beim Spaziergang durch den idyllischen Ort im Allgäu hat Geiger trotzdem Vorfreude und Begeisterung ausgemacht. «Heute war einiges los auf der Straße. Weihnachten war ruhiger, aber jetzt war ganz schön was. Ich habe das Gefühl, dass schon viel Vorfreude auf die Tournee da ist», sagte Geiger. Am Montagmittag ging es für die deutschen Skispringer dann ins altbekannte Teamhotel in Tiefenbach, einem Ortsteil von Oberstdorf.

Bundestrainer Stefan Horngacher hörte unmittelbar vor dem Start der Tournee gar nicht mehr auf, seinen besten Mann zu loben. Das Gesamtpaket Geiger sei das Erfolgsrezept. «Er kann weit springen, er landet gut, er springt gut weg, er trainiert viel, er hat einen guten Körper», schwärmte Horngacher, der mit seinem Team die 20 Jahre lange Flaute seit Sven Hannawalds Vierfachsieg unbedingt beenden möchte. «Deutschland hat immer gut bei der Tournee abgeschnitten, aber den Sieg nie erreicht. Natürlich gehen wir wieder mit dem Siegesziel hin», kündigte Horngacher selbstbewusst an.

Geiger: «Kobayashi springt sausaugut»

Einen Mit- oder Topfavorit in Oberstdorf stellen, aber wieder keinen goldenen Adler in Bischofshofen gewinnen: So lief die Tournee in den vergangenen Jahren diverse Male. Auch diesmal gibt es in Norwegens Gesamtweltcup-Sieger Halvor Egner Granerud, dem Österreicher Stefan Kraft und Polens Titelverteidiger Kamil Stoch viel Konkurrenz.

Der härteste Rivale dürfte aber Japans Ryoyu Kobayashi sein, der trotz Corona-Quarantäne und mehrerer verpasster Wettbewerbe auf Platz zwei im Gesamtweltcup steht und damit erster Geiger-Verfolger ist. «Kobayashi springt sausaugut. Von jeder Nation sind ein bis zwei dabei, die man auf der Rechnung haben muss», kommentierte Geiger, der in den vergangenen Jahren eine Olympia-Medaille, mehrere WM-Titel und Gold bei der Skiflug-WM gewonnen hat – aber noch nie die Tournee.

Das Siegerpreisgeld wurde verfünffacht

Über den deutschen Tourneefluch macht sich der Familienvater dabei keine Gedanken. Seit Hannawald sind nicht nur er und der zuletzt schwächelnde Kumpel Markus Eisenbichler, sondern auch Severin Freund, Richard Freitag und Andreas Wellinger am Gewinn des Traditionsevents in den Alpen gescheitert. «Ob es 20 Jahre her ist oder 27 oder zwölf, das macht eigentlich keinen Unterschied. Die Tournee geht mit der Quali los, dann geht die zehn Tage. Man muss seine sieben Sachen beieinander haben», sagte Geiger.

Finanziell wäre jetzt der ideale Zeitpunkt, die Tournee zu gewinnen. Das Siegerpreisgeld wurde verfünffacht, aus 20.000 Schweizer Franken wurden 100.000 (circa 96.000 Euro). Chefcoach Horngacher sieht diese Steigerung nur als logische Folge.

«Endlich hat man begriffen, was die Jungs hier für eine Leistung bringen. In anderen Sportarten war das schon früher so. Man kann drüber diskutieren, ob das eigentlich genug ist, wenn man schaut, welcher Fokus und Druck dahinter steckt», sagte der Trainer. Bei der Qualifikation geht es zunächst darum, sich eine gute Ausgangsposition für das Auftaktspringen am 29. Dezember (16.30 Uhr/ARD und Eurosport) zu erspringen. Auch dann soll es wieder kräftig regnen.

Von Patrick Reichardt und Thomas Eßer, dpa