Der epochale Coup im Camp Nou wirkte bei Eintracht Frankfurt auch eine kurze Nacht später noch kräftig nach.
Geweckt von der herrlichen spanischen Sonne konnten die Europa-League-Helden bei bestem Wetter in unvergesslichen Erinnerungen schwelgen: 30.000 eigene Fans, die meisten davon mit weißem Oberteil, im Stadion, den großen FC Barcelona rausgeworfen, eine ganztägige Party gefeiert und nun den internationalen Titel fest im Visier. Was klingt wie ein Traum, ist für die Hessen am Donnerstag Realität geworden. «Wir fühlen uns überragend gut. Wir haben etwas Historisches geschafft», sagte Vorstandssprecher Axel Hellmann.
Das furiose 3:2 des Teams von Cheftrainer Oliver Glasner wird einen festen Platz in der Eintracht-Geschichte bekommen, so viel ist sicher. «Es war perfekt, so wie es war», sagte Torhüter Kevin Trapp nach einem denkwürdigen Abend, der einen bedröppelten Barça-Trainer Xavi Hernandez und komplett ekstatische und vom Finale in Sevilla träumende Frankfurter hinterließ.
In den Halbfinal-Duellen mit West Ham United (28. April und 5. Mai) soll nun der nächste große Schritt zum zweiten Europapokal-Triumph nach 1980 gemacht werden. «Ich glaube, es gibt keinen Club, der in der Lage ist, so viel Momentum zu erzeugen», kündigte Hellmann an. Mit dem beherzten Auftreten des Teams und dem überragenden Support aus der Kurve hat die Eintracht bundesweit Sympathiepunkte gesammelt. Europa-League-Sieger der Herzen ist das Team gefühlt schon, doch das reicht dem ehrgeizigen Verein nicht.
Glasner macht den «Diver»
Der sonst gerne ruhige Glasner war im Zuge des ikonischen Triumphs richtig aufgeblüht. Als «Diver» warf sich der 47 Jahre alte Österreicher auf den Rasen, seine danach zerstörte Hose bezeichnete Glasner als «egal». Stattdessen hob er hervor, welche Bedeutung der Abend von Barcelona für ihn hat – und auch in Zukunft haben wird. «Das hat sich eingebrannt ins Herz für immer. Diese Gefühle werde ich mitnehmen, bis ich irgendwann hoffentlich mal eine Etage höher bin», sagte Glasner, nachdem ihn Spieler und Fans ausgiebig zelebrierten.
Mitten in den magischen Stunden im riesigen Camp Nou hatte Präsident und Chef-Biertrinker Peter Fischer den großen Feierbefehl erteilt. «Heute ist ganz Barcelona in Frankfurter Hand. Heute feiern wir die größte Party, die diese Stadt jemals gesehen hat», sagte Fischer, dem der Sieg seines Vereins über den so großen Weltverein besonders gut geschmeckt hat. Der Präsident hatte schon nachmittags Dosenbier am Plaça de Catalunya konsumiert und die Frühlingssonne vor dem selbsternannten Jahrhundertspiel genossen.
Europa-Reise geht weiter
Die Jahrhundertspiele sind nun vorbei, aber die Reise geht weiter. Nun geht es nach London, wo bei West Ham das Halbfinal-Hinspiel stattfindet. Vorstand Hellmann ist jetzt schon aufgeregt. «Ich erwarte dort eine wirkliche Adler-Invasion und dann geht es stramm darum, ins Finale einzuziehen. Mit London haben wir noch eine Rechnung offen, mit der Stadt», sagte Hellmann. 2019 endete der verrückte Weg durch die Europa League bei Chelsea im Elfmeterschießen – mit dem Traumtag samt Auswärtscoup im Camp Nou ist die Reise diesmal noch irrer. Und das unabhängig vom weiteren Verlauf.
Glasner, Hellmann, Fischer und Sportvorstand Markus Krösche gaben unisono die gleiche Richtung aus: das Endspiel in Sevilla, das am 18. Mai ausgetragen wird. Dies sei «das klare Ziel», erklärte Krösche. Für Vereinsoberhaupt Fischer geht es nicht nur um eine weitere attraktive Reise und den zweiten Titelcoup auf europäischer Bühne. Er will auch «aus dem verdammten Pokal saufen», wie er beim festlichen Empfang vor dem Barcelona-Rückspiel schon unverhohlen zugab.
Die nächtlichen Bilder aus dem Stadion sowie der Kilometer lange Marsch zu dem riesigen Fußball-Tempel waren – gerade in der jüngsten Pandemie-Vergangenheit – unvorstellbar. Wie die Fanmassen bis kurz vor Mitternacht in einem fremden Stadion und einer fremden Stadt feierten, erregte selbst international mächtig Aufmerksamkeit.
Frust bei Weltmeister Xavi
Und die vielen kleinen Geschichten: Martin Hinteregger, vor drei Jahren im Elfmeterkrimi gegen Chelsea tragischer Held, ließ sich alleine von der ganzen Kurve feiern. Doppeltorschütze Filip Kostic wollte im Sommer noch per Streik seinen Wechsel erzwingen und hisste nun vor der Kurve das Trikot, das er schon gar nicht mehr tragen wollte. Torwart Trapp, der vor fünf Jahren mit Paris 1:6 im Camp Nou verlor und sich nun ganz spät mit dem riesigen Coup revanchieren konnte. Es war surreal.
Der Spitzenclub aus Katalonien war nach dem nächsten Tiefschlag dagegen mächtig bedient. Chefcoach Xavi Hernandez sprach von einem «Planungsfehler», wegen dem es so viele Gäste-Fans ins Camp Nou geschafft hatten. Der langjährige Weltklassekicker fühlte sich um den Heimvorteil gebracht, Vereinspräsident Joan Laporta schämte sich nach eigener Aussage gar dafür und kündigte Gegenmaßnahmen an. Es schwang sehr viel Frust mit, als die Verantwortlichen von Barça das Aus gegen ein Team erklären mussten, das in der Bundesliga hinter Union Berlin oder dem 1. FC Köln liegt.
«Unsere Fans sind am kreativsten, sich auf allen Wegen Tickets zu besorgen. Das war so und wird immer so sein», stellte Hellmann dazu klar. Der Run auf die Tickets im Londoner Olympiastadion, wo West Ham seine Heimspiele austrägt, wird wieder gigantisch werden.