Erstmals seit 1996: Tischtennis-EM ohne die «zwei Granaten»

Auf diesen Moment haben die anderen Tischtennis-Nationen in Europa seit einer Ewigkeit gewartet: Der Seriensieger Deutschland tritt bei der an diesem Dienstag beginnenden Mannschafts-EM in Rumänien ohne seine Topstars Timo Boll und Dimitrij Ovtcharov an.

Das letzte Mal, dass weder der Rekord-Europameister Boll noch der Olympia-Dritte Ovtcharov zum deutschen EM-Team gehörten, war 1996 in Bratislava. Spielten dagegen beide mit, gewannen die Deutschen zwischen 2007 und 2019 sieben Mal den Titel.

Ihr Fehlen hat etwas mit dem völlig überfrachteten Terminkalender im Jahr nach dem Ausbruch der Coronavirus-Pandemie zu tun. Um möglichst alles nachholen zu können, was 2020 abgesagt werden musste, haben die Tischtennis-Verbände in ein Olympia-Jahr auch noch zwei EM-Turniere (Individual und Mannschaft), den Start der neuen Turnierserie WTT und die Einzel-Weltmeisterschaften im November in den USA gequetscht. Genau darauf wollen sich der 40 Jahre alte Boll und der 33 Jahre alte Ovtcharov in dieser zweiten Jahreshälfte konzentrieren.

Chance für Franziska & Co.

«Wenn zwei Granaten wie Boll und Ovtcharov vorne stehen, die mit ihrer Klasse den Druck herausnehmen, ist es natürlich einfacher», sagte Bundestrainer Jörg Roßkopf. «Genau deshalb ist es aber ganz wichtig, dass die etwas jüngeren Spieler die Chance bekommen, selbst auch unter Druck zu agieren.» Mehr Verantwortung für den Weltranglisten-18. Patrick Franziska (Saarbrücken), eine Chance für aufstrebende Spieler wie Benedikt Duda (Bergneustadt) oder Dang Qiu (Düsseldorf): Der Bundestrainer testest ab dem ersten EM-Spiel am Mittwoch gegen die Ukraine (18.00 Uhr/ettu.tv) schon einmal den großen Umbruch, der in ein paar Jahren ohnehin anstehen wird.

Die schlechte Nachricht für Rivalen wie Portugal, Schweden oder Frankreich ist dabei: Dieses deutsche Team hat zwar die Aura der Unbesiegbarkeit verloren, ist in Cluj-Napoca aber trotzdem ein Mitfavorit. Denn das europäische Top-16-Turnier am vorvergangenen Wochenende gewann ebenfalls in Abwesenheit von Ovtcharov und Boll nicht etwa der WM-Zweite Mattias Falck aus Schweden oder einer der starken Franzosen, sondern mit Franziska schon wieder ein Deutscher.

Ähnliche Ausgangslage bei den Frauen

«Ich bin sehr gerne Führungsspieler», sagte der 29-Jährige. «In Saarbrücken kenne ich das ja, da bin ich der Oldie im Team. Von vorne Gas zu geben, den Jüngeren zur Seite zu stehen und zu helfen: Das ist mein Ding. Wir wollen uns beweisen und zeigen, dass wir auch mit dieser Mannschaft in Europa gegen jeden gewinnen können.»

Bei den deutschen Frauen ist die Ausgangslage ähnlich. Da die beiden erfahrenen Han Ying und Shan Xiaona fehlen und Einzel-Europameisterin Petrissa Solja erkrankt ist, wird das Team nun von Nina Mittelham angeführt. Auch die 24-Jährige vom TTC Berlin Eastside gewann gerade erst das europäische Ranglisten-Turnier. «Es ist zudem gut, dass unsere Jüngste, die 15 Jahre alte Annett Kaufmann, mit dabei ist, um die besten Spielerinnen Europas im Wettkampf zu sehen und Erfahrungen zu sammeln», sagte die neue Damen-Bundestrainerin Tamara Boros.

Von Sebastian Stiekel, dpa