«Es geht nicht mehr»: Dreßen gibt Abschied auf der Streif

Thomas Dreßen wirkte gefasst. In die Wehmut über das frühe Karriereende mischte sich auch Vorfreude auf den letzten großen Auftritt. Was gebe es «Würdevolleres», als zum Abschied am Samstag (11.30 Uhr/ARD und Eurosport) noch einmal die berüchtigte Streif hinunterzujagen, fragte er die Journalisten, die sich im Mannschaftshotel des Deutschen Skiverbands (DSV) versammelt hatten. Er wolle «noch mal Spaß haben, das Ganze genießen und dann verdient einen Schlussstrich ziehen».

Auf den Tag genau sechs Jahre nach seinem sensationellen Sieg in Kitzbühel, seinem ersten im Weltcup, wird Dreßen genau dort sein letztes Rennen bestreiten. Im Alter von nur 30 Jahren zwingt ihn sein Körper nach vielen Verletzungen und Blessuren zum Ende der Laufbahn. Vor allem das rechte Knie ist schwer beschädigt.

Keine Opfer fürs «Hintennachgurken»

«Es ist einfach so, dass es körperlich nicht möglich ist, ganz vorne mitzufahren», sagte Dreßen am Donnerstag. «Die Entscheidung ist mir natürlich nicht leicht gefallen.» Sie sei aber über mehrere Tage gereift. Auf der Rückreise von Wengen, wo er nach der Lauberhorn-Abfahrt vorigen Samstag wieder extreme Schmerzen verspürt und mit den Tränen gekämpft hatte, konnte er lange nachdenken.

Ein Gespräch mit dem Mannschaftsarzt in München am Montag habe ihn in seiner Auffassung bestätigt: «Es geht nicht mehr.» Dreßen hatte seit jeher den Anspruch, um die absoluten Top-Platzierungen mitzufahren. «Fürs Hintennachgurken werde ich mein Gestell nicht mehr opfern», erklärte er. Dreßen unterstrich, dass es auch ein Leben nach dem Leistungssport gebe und er in der Lage sein wolle, mit seinen Kindern auch später noch Sport zu treiben.

Entscheidung der Vernunft

Dreßens Abschied hinterlässt eine «riesige Lücke» im deutschen Speed-Team, wie der sichtlich bedrückte Bundestrainer Christian Schwaiger sagte. Er sei aber auch als Coach so weit, dass er «gewisse Grenzen nicht mehr überschreiten will», erklärte er mit Blick auf den körperlichen Zustand seines Schützlings. Ganz klar: Der DSV verliert einen Ausnahmeathleten. Die Entscheidung, daran ließen weder die Aussagen des Trainers noch die des Sportlers selbst einen Zweifel, ist aber eine der Vernunft.

Sie den Kollegen mitzuteilen, sei ihm «sehr, sehr nahe gegangen», berichtete Dreßen. Die Mannschaft sei «wie eine zweite Familie» für ihn gewesen. Ohne ihre Unterstützung hätte er all seine Erfolge nie gefeiert, sagte der Athlet des SC Mittenwald.

Verletzungsmisere seit Ende 2018

Durch seinen Triumph auf der Streif hatte sich Dreßen 2018 in die Weltspitze katapultiert. Es folgten vier weitere Weltcup-Siege in der Abfahrt – kein deutscher Skirennfahrer hat in der alpinen Königsdisziplin öfter gewonnen. Hinzu kommen fünf weitere Podestplätze im Weltcup.

Aber eben auch zahlreiche gesundheitliche Rückschläge prägten die relativ kurze Zeit Dreßens im Weltcup. Die Misere begann mit einem heftigen Sturz in Beaver Creek in den USA Ende 2018. Seitdem musste der Oberbayer in den vergangenen Jahren mehrere Operationen über sich ergehen lassen – an der Hüfte, vor allem aber am rechten Knie. Er erlitt unter anderem einen Kreuzbandriss und einen Knorpelschaden.

Dreßen feierte mehrere Comebacks, erreichte aber nie mehr die Klasse von einst. Seinen letzten Weltcup-Sieg feierte er im Februar 2020 im österreichischen Saalbach-Hinterglemm, wo kommendes Jahr die WM stattfindet.

Abschied vor zigtausend Fans

Diesen Winter wollte Dreßen – beflügelt von der Geburt seiner Tochter Elena im vergangenen Juni – noch mal angreifen. Doch er fuhr der Spitze deutlich hinterher und hatte anders als erhofft weiterhin Schmerzen. Ein 18. Platz im Super-G von Gröden kurz vor Weihnachten – mehr war bisher nicht drin. 

In Kitzbühel bestritt Dreßen am Dienstag zwar das erste Training, das zweite am Mittwoch ließ er aber aus. Auch auf die erste der beiden Abfahrten des Wochenendes am Freitag wird er verzichten. Dreßen schont sich für einen letzten großen Ritt, die originale Hahnenkamm-Abfahrt vor zigtausend Fans am Samstag. Danach ist der Kampf gegen seinen Körper vorbei.

Christoph Lother und Manuel Schwarz, dpa