Seine Mutter ist eine ehemalige chinesische Nationalspielerin, die 1989 in die Tischtennis-Bundesliga wechselte. Sein Vater ist ein ehemaliger chinesischer Nationalspieler, der damals den gleichen Weg ging und dazu noch ein erfolgreicher Trainer in Deutschland und in Japan wurde.
Mehr als 30 Jahre später legt ihr Sohn Dang Qiu gerade einen der steilsten Aufstiege des deutschen Tischtennis-Sports hin. Vom Perspektivspieler hinter Dimitrij Ovtcharov und Timo Boll arbeitete er sich in nur einem Jahr zur deutschen Nummer eins für die am Freitag beginnende Team-WM hoch. Dass dieses Turnier auch noch in China stattfindet, ist die nächste besondere Geschichte in diesem ohnehin schon besonderen Jahr des neuen Europameisters.
«Es fühlt sich alles ein bisschen surreal an», sagte der 25-Jährige der Deutschen Presse-Agentur. «Für mich ist es unabhängig davon, dass meine Eltern dort geboren wurden, etwas ganz Besonderes, eine WM in China zu spielen. Denn China ist das Nonplusultra im Tischtennis – noch mehr als es Deutschland im Fußball jemals war. Wir genießen dort einen anderen Stellenwert als in jedem anderen Land der Welt.»
Familiäres Know-how für Tischtennis
Dang Qiu wurde in Nürtingen geboren, ging dort zur Schule, machte sein Abitur. Sein Vater Qiu Jianxin führte den Nachbarclub TTC Frickenhausen als Trainer zu zwei deutschen Meisterschaften, zwei Pokalsiegen und einem Eurocup-Triumph. Die Familie blieb auch dann in Württemberg, als der Vater 2016 die Nationalmannschaft Japans übernahm. Mittlerweile betreibt er in dem Land eine eigene Akademie.
Dang bekam von seinen Eltern das Talent, die Begeisterung – und was ihm besonders wichtig ist – «das Know-how für Tischtennis» mit auf den Weg. Trotzdem wurde er als Einzelspieler noch im Sommer 2021 nicht für die Europameisterschaft in Warschau und für die Olympischen Spiele in Tokio nominiert. Sein Aufstieg begann erst danach.
Innerhalb eines Jahres gewann Dang den EM-Titel in München, die deutsche Meisterschaft mit Borussia Düsseldorf und sein erstes Turnier der weltweiten WTT-Serie. In der Weltrangliste kletterte er an Rekord-Europameister Boll und dem Olympia-Dritten Ovtcharov vorbei auf Platz neun. Weil die beiden mit Abstand besten deutschen Spieler dieses Jahrtausends nach langen Verletzungspausen fehlen, übernimmt Dang Qiu gleich bei seiner ersten Team-WM auch ihre Führungsrolle. «Ich habe über Jahre hinweg hart gearbeitet. Aber dass es jetzt so steil ausfällt?», sagte er, als könne er das selbst kaum glauben.
«Corona-Zeit perfekt genutzt»
Jörg Roßkopf ist von dieser Entwicklung nicht überrascht. «Dang hat die Corona-Zeit perfekt genutzt, in dem er sehr viel und sehr hart trainiert hat», sagte der Bundestrainer der Deutschen Presse-Agentur. «Er will immer trainieren, er ist immer heiß. Er ist sehr akribisch in seiner Arbeit und dazu taktisch sehr gut ausgebildet.»
Doch genau wie die meisten anderen Geschichten im deutschen Tischtennis lässt sich auch diese nicht ohne Boll und Ovtcharov erzählen und verstehen. Denn zum einen gilt: «Das Trainingsniveau ist natürlich super, wenn man jeden Tag auf Spieler wie Timo und Dima trifft, die schon seit Jahren zur Weltspitze gehören», erklärte Dang Qiu. «Mit anzusehen, wie hart sie trainieren, wie diszipliniert sie sind, welche Erfolge sie hatten und wie hart sie auch nach Erfolgen weitertrainieren – davon kann man viel lernen.»
Zum anderen gilt aber auch: Wer auf diesem Niveau eine Chance kriegt, der sollte sie nutzen. Es gibt Spieler, denen zittern gegen Boll und Ovtcharov auch dann noch die Knie, wenn beide nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte sind. Dang Qiu aber besiegte erst Ovtcharov im Endspiel des WTT-Turniers in Lima (4:3) und dann auch Boll im Viertelfinale der EM (4:0). Das ist genau das, was Jörg Roßkopf meint, wenn er sagt: «Wenn man beim absoluten Höhepunkt, sprich Olympia 2024, gut spielen will, muss man jetzt schon Verantwortung übernehmen. Und so freundlich und verbindlich Dang im Umgang ist: Er setzt am Ende auch durch, was er will. Und darauf kommt es im Sport viel an.»
Die WM in China ist nun der nächste Karriereschritt. Der große Haken daran: die strengen Corona-Regeln. Die Spieler dürfen Hotel und Spielstätte nicht verlassen. Und wer als Zuschauer nach Chengdu reisen will, muss dort erst einmal in Quarantäne. Für Dang Qius Familie bedeutet dies: Weder seine Eltern werden live dabei sein, noch seine in China lebende Verwandtschaft. Für seinen Teamkollegen Fanbo Meng und die deutschen Nationalspielerinnen Han Ying und Shan Xiaona gilt das gleiche. «Mein Vater schaut sich trotzdem jedes Spiel von mir an – egal, wie viel Uhr es bei ihm ist», sagte Dang Qiu. Die Tipps kommen dann eben per WhatsApp.