Kein Bus, kein Billigflieger – die Reise zum Champions-League-Spiel nach Frankreich konnten Thomas Tuchel und das Team des FC Chelsea noch wie geplant antreten.
Denn das Flugzeug hatten die Blues bereits gebucht, bevor die britische Regierung die harten Sanktionen gegen den Fußballclub und seinen russischen Inhaber Roman Abramowitsch verhängte. Zukünftige Auswärtsfahrten wie zum Pokalspiel am Sonntag nach Middlesbrough werden erheblich erschwert. Doch vor dem Achtelfinal-Rückspiel beim OSC Lille hat Chelsea weitaus größere Probleme. Nicht weniger als die Zukunft des Vereins ist in Gefahr.
Verein vor ungewisser Zukunft
Nach dem 2:0-Hinspielerfolg zweifelt kaum jemand daran, dass die Blues am Mittwochabend ins Viertelfinale der Königsklasse einziehen. Die Frage, die sich viele Fans stellen, lautet eher, ob Chelsea auch in den kommenden Jahren in der Champions League vertreten sein wird. «Jeder weiß, dass es nicht leicht ist. Das Beste, was wir tun können, ist guten Fußball zu spielen. Alles ist härter für uns im Moment», sagte Nationalspieler Kai Havertz: «Wir wissen, dass es eine komische Situation ist für alle im Club.»
Der zum Verkauf stehende Club darf derzeit weder Spieler verpflichten, noch verkaufen – und auch keine neuen Verträge aushandeln. Konten wurden eingefroren. Mitarbeiter fürchten um ihre Jobs. Rein sportlich droht im Sommer der Abgang mehrerer Leistungsträger, deren Verträge auslaufen, darunter der deutsche Nationalspieler Antonio Rüdiger.
Auf einmal ist auch fraglich, ob Coach Thomas Tuchel langfristig an der Stamford Bridge arbeiten wird. «Es gibt überhaupt keinen Zweifel, dass ich bis zum Saisonende bleibe», sagte der Trainer des aktuellen Tabellendritten der Premier League. Was als Verpflichtungserklärung gemeint war, klang auch ein wenig wie eine Abschiedsandrohung. «Wir müssen von Tag zu Tag abwarten, weil sich alles ändern kann», sagte der 48-Jährige zudem. Festlegen mag sich bei Chelsea gerade niemand.
Tuchel noch «optimistisch und pragmatisch»
Trotz der misslichen Situation für Chelsea äußerte sich Tuchel bisher überwiegend optimistisch – und pragmatisch. Wenn seine Mannschaft nicht mit dem Flugzeug reisen könne, fahre man eben mit der Bahn oder dem Bus. «Ansonsten fahre ich einen Siebensitzer», sagte Tuchel. «Ganz ehrlich, das mache ich. Nehmen Sie mich beim Wort.»
Zumindest äußerlich versucht sich der Erfolgstrainer nichts anmerken zu lassen. «Natürlich laufen gerade einige Verhandlungen und Gespräche, was die Organisation angeht, aber das beeinflusst mich nicht.»
In britischen Medien wird nun jedoch spekuliert, Tuchels einstiger Mentor Ralf Rangnick, derzeit Interimscoach und bald Berater, könne ihn im Sommer als seinen Nachfolger zu Manchester United lotsen. Die «Daily Mail» berichtete, die Man-United-Verantwortlichen beobachteten die Situation bei Chelsea genau. Rangnick dementierte nur halbherzig: «Es macht keinen Sinn, darüber nachzudenken oder zu spekulieren.»
Chelsea um Lockerung der Auflagen bemüht
Für Ex-Nationalspieler und Kolumnist Jamie Carragher wäre Tuchel die perfekte Wahl für die Red Devils – und umgekehrt. «Kein Coach will in einem Umfeld mit so viel Unsicherheit arbeiten», schrieb Carragher im «Telegraph» über den Fifa-Welttrainer und die Lage in London. «Wenn er die Gelegenheit bekommt, zu einem Club mit einem Status wie United zu wechseln, dann muss er sie ergreifen.»
Der FC Chelsea ist unterdessen bemüht, die strengen Auflagen weiter zu lockern. Die Regierung hat dem Club-Weltmeister auch den Verkauf von Tickets verboten. Die Verantwortlichen wollen das nicht hinnehmen. «Wir drängen die Regierung, unseren Fans Zugang zu Eintrittskarten zu gewähren», teilte der Club mit.
Zeitgleich laufen im Hintergrund die Verkaufsgespräche. Noch bis Freitag können Interessenten ein Angebot abgeben, vorausgesetzt sie können die notwendigen finanziellen Ressourcen vorweisen. Wie es beim FC Chelsea weitergeht und ob der Club eine erfolgreiche Zukunft haben kann, hängt davon ab, wer am Ende den Zuschlag bekommt. Ob der Titelverteidiger am Mittwochabend die nächste Runde der Champions League erreicht, gerät dabei vorerst zur Nebensache.