Flick beruft Süle und Groß – Goretzka und Werner fehlen

Keine Egoismen mehr. Hansi Flick sprach die deutliche EM-Warnung an die angezählten Etablierten um den «extrem enttäuschten» Leon Goretzka und Timo Werner gelassen aus. «Die Mannschaft ist der Star – und nicht der Einzelne», sagte der unter großem Erfolgsdruck stehende Fußball-Bundestrainer zum Auftakt in die komplizierte Saison des Heim-Turniers. 

Im Kader für die bedeutenden Stimmungstests der Nationalmannschaft gegen WM-Schreck Japan und Vize-Weltmeister Frankreich mit dem einzigen Neuling Pascal Groß von Brighton & Hove Albion fehlen neben dem zuletzt mit sich selbst beschäftigten Münchner Goretzka und dem formschwachen Leipziger Werner auch David Raum, Thilo Kehrer und Matthias Ginter. 

«Mannschaft im Vordergrund»

«Für uns ist wichtig, dass die Mannschaft im Vordergrund steht. Das bedeutet, auch dass jeder Einzelne sein Ego hinten anstellen soll und muss», sagte Flick. Für die Länderspiele am Samstag kommender Woche in Wolfsburg gegen die unberechenbaren Japaner und drei Tage später in Dortmund gegen die französische Weltklasse-Auswahl um Kylian Mbappé holt er den im Sommer angezählten Dortmunder Abwehrhünen Niklas Süle nach der verordneten DFB-Auszeit zurück. 

«Wir haben ein bisschen was gutzumachen, das weiß jeder Einzelne, der eingeladen ist», sagte Flick und untertrieb dabei. «Neben der Qualität und der Leistung der Spieler war ein Punkt wichtig: Das Verhalten, die Einstellung und vor allem auch, wer gibt der Mannschaft Energie?» Der Bundestrainer will jetzt schnell seine «Kernmannschaft» für die EM finden.

Besser sein sollen die Nationalspieler, «als wir in der Vergangenheit gezeigt haben», sagte Flick. Besonders gegen Japan steht die DFB-Auswahl unter Erfolgszwang. Der 1:2-Schock im ersten Gruppenspiel bei der WM Ende vergangenen Jahres offenbarte die monatelange Fehlentwicklung und war in Katar nicht mehr zu reparieren. Ein damals ausgemachter Faktor für die Gegentore nach der Pause war die Einwechslung von Goretzka für Ilkay Gündogan.

Goretzka «extrem enttäuscht»

«Gerade die letzten Wochen haben sich wieder richtig gut angefühlt und ich habe mich brutal darauf gefreut, auch in der Nationalmannschaft meinen Beitrag zu leisten, dass wir als Team zurück in die Erfolgsspur kommen», schrieb Goretzka kurz nach der Kaderbekanntgabe bei Instagram. Er sei «extrem enttäuscht von der überraschenden Entscheidung» des Bundestrainers. Er müsse diese aber «akzeptieren» und werde «weiter jeden Tag hart arbeiten, um an den guten Start in die Saison anzuknüpfen».

Er schätze den Münchner «sehr», sagte Flick über den 28-jährigen Goretzka, der sich bei Bayern-Trainer Thomas Tuchel zum Saisonauftakt den Mittelfeldplatz neben Joshua Kimmich zurück erkämpfen konnte. Aber das Trainerteam habe sich nun mal «Gedanken» gemacht. «Letztendlich geht es darum, dass sie an den Dingen, die wir besprochen haben, arbeiten», sagte der Bundestrainer. «Jeder Einzelne hat die Möglichkeit, wieder dazuzustoßen.» Es sei «nichts Endgültiges». Werner schießt in Leipzig seit Monaten keine Tore. Dass Flick auch ihn «sehr schätzt», reicht gut neun Monate vor der Heim-EM nicht aus für einen Kaderplatz.

Bei Süles erzwungener Auszeit hat der Warnschuss aus Flicks Sicht funktioniert. Die Nicht-Nominierung des 27-Jährigen mit öffentlicher Leistungsschelte vor den enttäuschenden Auftritten gegen die Ukraine (3:3), Polen (0:1) und Kolumbien (0:2) hatte im Juni für großes Aufsehen gesorgt. Jetzt sei eine «eine gute Reaktion zu sehen» gewesen, sagte der Bundestrainer: «Und das war der Zweck der Dinge, dass wir uns so entschieden haben.»

32-jähriger Groß neu dabei

Für die Erstberufung des schon 32 Jahre alten Groß sprach laut Flick dessen überzeugende Leistungen in England mit in der vergangenen Saison jeweils zehn Toren und Vorlagen. «Pascal trifft sehr gute Entscheidungen auf dem Platz. Er ist ein sehr intelligenter, cleverer Spieler», sagte Flick über den früheren Ingolstädter. «Er freut sich auch total, er hat das sehr, sehr positiv aufgenommen. Ich glaube, da bekommen wir einen guten Typ zu sehen.»

Insgesamt sechs Rückkehrer stehen im ersten Kader der EM-Saison. Neben Süle ist als dritter Torwart der noch länderspiellose Oliver Baumann (TSG Hoffenheim) dabei, zudem der Dortmunder Neuzugang Felix Nmecha, Jonathan Tah (Bayer Leverkusen), Kevin Schade (FC Brentford) und Serge Gnabry (FC Bayern), der wie Leroy Sané beim Rekordmeister starke Frühform gezeigt hatte. Ein Comeback von Bayern-Routinier Thomas Müller im Nationalteam gibt es weiterhin nicht. Der 33-Jährige solle nach Verletzungsproblemen erstmal in München wieder richtig Fuß fassen, sagte Flick. 

Musiala reist nach

Supertalent Jamal Musiala soll nach einem Muskelfaserriss erst am Mittwoch anreisen und – wenn alles passt – gegen Frankreich zum Einsatz kommen. «Das ist ein gutes Zeichen auch von Jamal, dass er unbedingt dabei sein wollte», sagte Flick.

Möglicherweise ein Zeichen in allen Debatten über die richtige Besetzung im Mittelfeld könnte die neue Einteilung des Kaders sein: Statt «Abwehr» und «Mittelfeld und Angriff» führt der DFB zum Auftakt der Saison «Defensive» und «Offensive» ein. Triple-Sieger Gündogan zählt zur vorderen Reihe, der Münchner Kimmich sowie die Dortmunder Emre Can und Nmecha zur hinteren.

Das DFB-Aufgebot

Tor: Marc-André ter Stegen (FC Barcelona), Kevin Trapp (Eintracht Frankfurt), Oliver Baumann (TSG 1899 Hoffenheim)

Abwehr: Robin Gosens (Union Berlin), Benjamin Henrichs  (RB Leipzig), Joshua Kimmich (FC Bayern München), Nico Schlotterbeck (Borussia Dortmund), Malick Thiaw (AC Mailand), Antonio Rüdiger (Real Madrid), Emre Can (Borussia Dortmund), Felix Nmecha  (Borussia Dortmund), Niklas Süle (Borussia Dortmund), Jonathan Tah  (Bayer Leverkusen)

Mittelfeld und Angriff: Julian Brandt (Borussia Dortmund), Niclas Füllkrug (Werder Bremen), Ilkay Gündogan (FC Barcelona), Kai Havertz (FC Arsenal), Jonas Hofmann (Bayer Leverkusen), Jamal Musiala (FC Bayern München), Leroy Sané (FC Bayern München), Kevin Schade (FC Brentford), Florian Wirtz (Bayer Leverkusen), Serge Gnabry (FC Bayern München), Pascal Groß (Brighton & Hove Albion)

Von Jan Mies und Klaus Bergmann, dpa