Flick eröffnet Konkurrenzkampf – «Qualitativ gut besetzt»

Thomas Müller und Leon Goretzka grinsten spitzbübisch und drehten abrupt wieder um. «Noch eine Runde», bekam das Bayern-Duo zu hören, als es am Dienstag beim Benefizlauf mit den Adidas-Mitarbeitern in Herzogenaurach zu früh Richtung Trainingsplatz des DFB-Teams abbog.

Dort wartete Bundestrainer Hansi Flick, der überpünktlich um 10.51 Uhr die Vorbereitung seines Kaders auf intensive Tage in der Nations League eröffnete – knifflige Personalentscheidungen Richtung Katar-WM inklusive.

«Aufgrund der vergangenen Jahre kann man nicht sagen, dass wir in der Weltspitze sind. Aber wir wollen dahin zurück», sagte Goretzka später am Tag nach dem Lauf über den «Home Ground» mit zahlreichen Selfies und viel Smalltalk. Der «Run for the Oceans» soll auf die Verschmutzung der Weltmeere aufmerksam machen. Wieder äußerte sich der Bayern-Star reflektiert auch zu weiteren Themen – von der Gewalt gegen Schiedsrichter auf Amateurplätzen («eine erschreckende Entwicklung») bis zum Wechsel-Theater um Robert Lewandowski. Er appellierte an den FC Bayern und den Weltfußballer, die Emotionalität herauszunehmen und «die beste Lösung für beide Seiten» zu finden.

Kommende Partien sind «gute Gradmesser»

Für das Nationalteam stehen aber nun die Partien am Samstag (20.45 Uhr/RTL) in Bologna gegen Europameister Italien sowie danach in München gegen England, in Budapest gegen Ungarn und dann erneut gegen Italien in Mönchengladbach im Fokus. «Gute Gradmesser», wie Goretzka die vier eng getakteten Länderspiele einstufte. Und als eine echte Standortbestimmung, wen Flick keine sechs Monate vor dem WM-Start in Doha aktuell vorne sieht in seinem 26-Mann-Kader.

Bis auf das wegen eines Infekts fehlende Geburtstagskind Marco Reus (33) und das noch lange verletzte Leverkusener Supertalent Florian Wirtz stehen Flick die besten Feldspieler zur Verfügung. Definitiv gesetzt sind neben Kapitän Manuel Neuer im Tor nur wenige Akteure. «Unsere ganze Mannschaft ist qualitativ so gut besetzt, dass es vom Trainer fatal wäre, grundsätzlich jemandem eine Startelfgarantie zu geben», sagte Goretzka, der im Mittelfeld erste Wahl sein will: «Ich würde mir die Handschellen da auch nicht anlegen.»

Können «sehr, sehr viel erreichen»

In der Mittelfeldzentrale macht etwa Youngster Jamal Musiala richtig Druck auf seine etablierteren Bayern-Teamkollegen Goretzka und Joshua Kimmich, die beide eine schwierige Rückrunde hinter sich haben. In der Innenverteidigung lauert Borussia Dortmunds Neuzugang Nico Schlotterbeck hinter seinem baldigen BVB-Teamkollegen Niklas Süle sowie Antonio Rüdiger. Der einzige Profi, der unter Flick bislang immer gespielt hat, ist der meistens unscheinbare Thilo Kehrer.

«Überrascht bin ich nicht, ich weiß, wie viel Arbeit dahinter steckt», sagte der Abwehrspieler des französischen Meisters Paris Saint-Germain selbstbewusst. Von Flick wird er meistens auf den Außenverteidigerpositionen eingesetzt. «Ich habe ein unglaublich gutes Gefühl. Ich denke, dass wir sehr, sehr viel erreichen können», sagte Flicks Dauerbrenner Kehrer.

Top-Bedingungen in Herzogenaurach

Über dem Trainingsplatz im Adi-Dassler-Stadion kreiste auch am Dienstag wieder eine Drohne mit Kamera. Alles wird gefilmt. Flick und sein Betreuerstab überlassen nichts dem Zufall. «Wir werden die Zeit nutzen, um uns optimal vorzubereiten auf unsere Gegner», hatte der Bundestrainer angekündigt und ergänzt: «Es ist etwas Besonderes in Herzogenaurach. Dort haben wir Top-Bedingungen. Es ist alles vorbereitet, dass wir Leistung bringen können.»

Flick geht behutsam vor, sucht oft die Einzelgespräche mit seinen Stars nach einer anstrengenden und für viele Nationalspieler nicht besonders erfolgreichen Saison. «Wir werden die Breite des Kaders ausnutzen, auch den anderen Spielern das Vertrauen schenken. Bei einer WM muss das auch sein», sagte er mit Blick auf vier Partien in nur zehn Tagen. Eintracht Frankfurts Europa-League-Held Kevin Trapp könnte in einem der Spiele seine Einsatzchance im Tor erhalten, aber nicht zu Beginn gegen die nicht für die WM qualifizierten Italiener.

Hansi will, «dass wir uns pushen»

«Italien ist eine große Mannschaft», sagte Kehrer. «Wir wissen auch, dass wir sehr, sehr viel Qualität haben. Wir wollen wichtige Schritte machen für die Vorbereitung auf die WM.» Goretzka berichtete von einer höchst intensiven Trainingseinheit. «Das ist das, was Hansi sehen will», sagte der 27-Jährige. «Dass wir uns pushen. Gerade diese Konkurrenzsituation im Training macht uns besser.»

Die vier Spiele in der einst als unnötig kritisierten Nationenliga werden auch ihren Teil zur Stimmung außerhalb des «Home Grounds» beitragen. Goretzka sprach von «absolutem Powerfußball» unter Flick, der «uns auf dem Platz und auch den Zuschauern extrem viel Spaß gemacht hat». Die Partien gegen die hochkarätigen Gegner wolle jeder Fußballer gewinnen. Ob der Wettbewerb Nations League an sich die Motivation bringe, «sei mal dahingestellt», bemerkte Goretzka.

Von Jan Mies und Klaus Bergmann, dpa