Hansi Flick ist derzeit ein viel beschäftigter Mann. Der neue Bundestrainer, der in der kommenden Woche den Kader für seine ersten drei Länderspiele nominieren wird, reist herum – oder hat Laptop und Handy stets parat.
«Ich bin beim sogenannten ’24/7′ immer vorsichtig, jeder Spieler, jeder Trainer, jeder Mensch braucht seine Erholungsphasen», sagte der 56-Jährige im Interview der «Süddeutschen Zeitung». «Aber die Liga kann sich darauf verlassen, dass ich ein präsenter Bundestrainer sein werde.»
Mit «einigen Ligatrainern» habe er zuletzt schon digitale «Facetime- oder Zoom-Meetings» gehabt, darauf sollen sich auch seine Nationalspieler einstellen. Der Nachfolger von Joachim Löw betonte erneut, dass die Tür zur DFB-Auswahl für alle offen stehe, die Leistung bringen. «Ich meine damit, dass die Spieler es im Grunde selbst in der Hand haben», sagte Flick. «Ich will keine besonders junge oder besonders erfahrene Nationalmannschaft, ich will einfach die beste.»
Auch PSG-Profis im Blick
Explizit erwähnte Flick auch die beim französischen Spitzenclub Paris Saint-Germain spielenden Julian Draxler und Thilo Kehrer, die von Löw nicht mehr berücksichtigt worden waren. Im Zusammenhang mit der Frage, ob Thomas Müller, Mats Hummels und Ilkay Gündogan auch künftig für Deutschland spielen werden, sagte Flick auch mit Blick auf den Dortmunder Marco Reus, Draxler und Kehrer: «Die spielen bei Topvereinen in der Champions League, und wenn sie da zeigen, was uns wichtig ist, dann heißt es ‚herzlich willkommen‘. Warum sollte ich bei irgendjemandem eine endgültige Entscheidung treffen und ’nein‘ sagen, wenn er uns helfen kann?»
Und wer dabei ist, mit dem will Flick in Kontakt bleiben. «Für mich sind die Spieler auch im Verein immer Nationalspieler, der Faden soll nie abreißen. Ähnlich regelmäßig möchte ich auch mit der Liga kommunizieren, mit den Trainern und Sportdirektoren. Mir macht so ein Austausch auf Augenhöhe extrem Spaß, das ist eigentlich gar keine Arbeit», sagte Flick, der am 26. August seinen ersten Kader nominieren wird. Anlass sind die drei anstehenden WM-Qualifikationsspiele gegen Liechtenstein in St. Gallen am 2. September, drei Tage später in Stuttgart gegen Armenien sowie am 8. September gegen Island in Reykjavik.
Auch in Gedenken an die am vergangenen Sonntag gestorbene Torjäger-Legende Gerd Müller machte Flick auf die Probleme in der Offensivausbildung beim DFB aufmerksam. «Ich fürchte, die Gefahr besteht», antwortete der Bundestrainer auf die Frage, ob selbst ein Jahrhunderttalent wie Müller heute nicht zu sehr das «reine Stürmen» abgewöhnt bekommen würde.
Havertz mag die Stürmerposition
«Schauen Sie sich unsere Offensivspieler doch an! Alle hoch veranlagt und vielseitig, aber alle auch irgendwie ähnlich. Ich habe immer gesagt, dass wir wieder Verteidiger brauchen, die verteidigen können und Stürmer, die stürmen können», sagte Flick. «Wir brauchen die Spezialisten. Stellen Sie sich mal Gerd Müller in unserer heutigen Nationalmannschaft vor: einen Spieler, den du vorne immer anspielen kannst, der die Bälle sichert, der sie auf engstem Raum weiterleitet, der das Näschen hat. Das wäre perfekt.»
Einer, der den Anspruch hat, im Sturmzentrum zum Stammspieler zu werden, ist Kai Havertz. «Ich kann diese Rolle einnehmen», sagte der Champions-League-Sieger des FC Chelsea im Interview der «Bild»-Zeitung. «Ich weiß noch nicht, wie Hansi Flick aufstellen wird. Ich mag die Position als Mittelstürmer in der Box, im Sechzehner: Offensiv in die Spitze zu stoßen, Tore zu machen. Das wäre eine Position, die mir gefallen würde.»
Hätte Löw nicht nach der enttäuschenden EM mit deutschem Achtelfinal-Aus aufgehört, hätte Havertz einen anderen Ansprechpartner – und Flick wäre womöglich wieder Vereinstrainer. «Mit einem sehr großen Verein hatte ich zwei Zoom-Calls, direkt mit dem Präsidenten, das war extrem spannend», sagte der Bundestrainer, der mit den Bayern alles gewonnen hatte. «Der Umgang miteinander war total respektvoll, meine sportlichen Kompetenzen wären überragend gewesen.»
Bierhoff machte Druck
Es habe sich aber die «einmalige Chance» ergeben, beim Deutschen Fußball-Bund zu unterschreiben. DFB-Direktor Oliver Bierhoff, den Flick aus seiner Zeit als Löw-Assistent und später als DFB-Sportdirektor bestens kennt, habe «die anderen Anfragen natürlich mitbekommen und ein bisschen Druck gemacht», sagte Flick. «Und ich muss sagen, die Entscheidung fühlt sich wirklich gut und richtig an.»
Die Unterschrift als Bundestrainer schlug dabei sogar den Triple-Triumph mit dem FC Bayern. «Da ist mein Telefon explodiert», erzählte Flick über den Tag der Vertragsunterzeichnung. «Ich hatte 600 Nachrichten an einem Tag. Völlig verrückt. Das waren doppelt so viele wie nach dem Sieg in der Champions League.»