Flick und die rote Pfeife: Zweite Chance als Bundestrainer

In der Ahnengalerie der Bundestrainer gibt es von Hansi Flick dieses Bild mit der roten Pfeife. Am roten Band hängt sie, knapp über dem Bauchansatz, beim Training in der fast schon wieder in Vergessenheit geratenen WM-Trutzburg von Al-Shamal. Von Franz Beckenbauer ist der einsame Gang im Mondschein über den Rasen im Römer Olympiastadion Minuten nach dem WM-Sieg 1990 legendär.

Berti Vogts machte 1996 als Europameister La Ola vor dem deutschen Fanblock in Wembley. Joachim Löw strahlte selbst im sportlichen Untergang 2018 noch Grandezza aus. Mit Sonnenbrille lässig an einer Laterne auf der Strandpromenade von Sotschi. Drei DFB-Trainer, die die letzten drei Titel für Fußball-Deutschland holten. Und Hansi Flick? Bislang ist da vor allem diese rote Pfeife. Doch es besteht die Chance auf Jubelbilder. 

Flick nach WM-Aus am Scheideweg

Nach dem WM-Debakel in Katar darf der einstige Titelsammler des FC Bayern München beim DFB weiter machen. Mit Spannung wurde die von DFB-Präsident Bernd Neuendorf eingeforderte WM-Analyse erwartet. Der Termin hatte den Stempel des Rapports. Flick darf weitermachen, das war am Mittwoch das Resultat nach gut zwei Stunden in einem Hotel bei Frankfurt/Main. 

So ungewöhnlich Flicks emotionale Aussagen zum DFB-Ende seines Vertrauten und Wegbegleiters Oliver Bierhoff als Verbandsdirektor am Dienstag auch waren, so viel sagten sie über den Menschen Hansi Flick aus. Den Gefühlsmenschen, für den Vertrauen eine Prämisse ist, der nicht akzeptieren wird, dass man ihm von oben als Diktat einen Sportdirektor an die Seite stellt, der anders tickt als er selbst. 

Allein die Hatz der vielen Kandidatennamen missfällt ihm. Seine Worte zum Bierhoff-Aus sagten auch viel über Flick, den Trainer, der am liebsten über Fußball spricht. Der weiß, dass das Business anders ist und doch den Sport im Zentrum haben will. Ein Unterfangen, das in Katar gänzlich misslang.

Als noch niemand an ein erneutes WM-Vorrundenaus dachte, sprach Flick oft über zwei Dinge. Die Anrede Bundestrainer, die für ihn komisch klinge. «In Diskussionen mag ich es nicht, wenn der Titel Bundestrainer erscheint», sagte der 57-Jährige im DFB-Journal, das vor der WM erschien und jetzt auf der Verbands-Homepage nicht mehr ganz vorne zu finden ist. Er wolle mit Argumenten überzeugen, nicht mit einem Label, sagte Filck.

Bundestrainer mit Kosenamen-Tradition

Und dann war da noch der Vorname. Hans-Dieter. Nein, zu streng, wie er auch in seiner Biografie andeutete. Lieber einfach Hansi. Das klingt zwar ein wenig nach Wellensittich, wie der Blick auf die Fachseite Welli.net belegt. Hansi liegt da auf Platz fünf der beliebtesten männlichen Vogelnamen. Es passt aber zur Bundestrainer-Tradition. Jogi (Löw), Klinsi (Klinsmann), Rudi (Völler), Berti (Vogts) – unterbrochen nur von Sir Erich (Ribbeck). Lauter niedliche Kosenamen.

Zu nett! Dieser Vorwurf an Flick schwappte auch in Katar plötzlich hoch und wurde aus dem Spielerzirkel sofort energisch dementiert. «Das Letzte, was man dem Trainer vorwerfen kann, ist, dass er nicht klar mit uns redet», stellte Kai Havertz nach dem Fehlstart gegen Japan klar. «Ein sehr guter, feiner Trainer», lautet das Urteil von Vor-Vorgänger Jürgen Klinsmann, dessen publikumswirksame Begeisterungsfähigkeit Flick zwar abgeht. Auch polyglott ist Flick ganz sicher nicht. Und doch gibt es nicht viele, die den nötigen Aufbruch zur Heim-EM 2024 authentisch und mit Fan-Nähe vermitteln können. Das ist sein Bonus.

Die Fans sind dennoch uneinig. Nahezu alle Ad-hoc-Umfragen nach dem Desaster von Al-Chaur gehen praktisch 50:50 aus. Die Buhmann-Rolle hatte Bierhoff mit einer Quote von 1:9. Die große Frage bleibt, wann und warum Flick seinen Münchner Titelinstinkt verlor. Bei den Bayern lief es 18 Monate wie am Schnürchen. Und die knapp anderthalb Jahre als Bundestrainer? Eine Bilanz im steilen Abwärtstrend. 

Der klare Kurs beim DFB fehlte zuletzt

Es gelangen gleich acht Siege – ein DFB-Rekord. Dann kam das Jahr 2022 – und Flick fehlte fortan jedes Fortune. Zuletzt traf er Personalentscheidungen, die nicht zu ihm passten, bis hin zur Rückversetzung von Joshua Kimmich nach rechts hinten beim letzten Wurf gegen Costa Rica, trotz selbst attestiertem Weltklasse-Label in der Zentrale. Das war schon arger Schlingerkurs.

In Katar verhedderte sich Flick in seinem eigenen Kokon. Die Wagenburg, diese kleine Fußball-Welt im Zulal Wellness Ressort, aus der wenig bis nichts nach außen dringen durfte. Die funktionierte aus seiner Sicht. Doch die Störfeuer der FIFA, der außersportliche Lärm, der in der Frage der «One Love»-Kapitänsbinde gipfelte, das verhagelte für ihn alles.

Offenbarungseid der Flick-Welt war die Pressekonferenz vor dem Spanien-Spiel, bei der der Bundestrainer allein auf dem Podium saß, weil kein Spieler auch nur für ein paar Stunden aus dem Takt gerissen werden durfte. Dass dieses Vorgehen nicht nur kleinkariert war, sondern auch gegen Regeln verstieß, an die sich alle anderen 31 Teams hielten? «Wir müssen das akzeptieren, wie so vieles hier», sagte Flick.

Arne Richter und Klaus Bergmann, dpa