Flicks Start ohne Papa Kimmich – WM-Appell an die Spieler

Oliver Bierhoff eilte mit einem Rucksack in ein Meeting, Hansi Flick wartete sehnsüchtig auf die Nationalspieler.

Im Teamhotel vor den Toren Frankfurts hatte der frühzeitig angereiste Fußball-Bundestrainer über das Wochenende intensiv vorgearbeitet für den Start ins WM-Jahr mit dem eher lockeren Warm-up gegen Israel am Samstag (20.45 Uhr/ZDF) in Sinsheim und dem ersten echten Prüfstein drei Tage später im Klassiker gegen die Niederlande in Amsterdam.

«Freuen uns, dass es wieder losgeht»

«Wir freuen uns, dass es wieder losgeht», sagte Bierhoff am Montag im renovierten Luxushotel Kempinski Gravenbruch, in dem der 53-Jährige schon zu seinen Nationalspielerzeiten oft logiert hatte. Danach verschwand er zu einer Sitzung in dem für den DFB-Tross reservierten Hotelbereich. Flick musste derweil noch vor der abendlichen Anreise der Spieler nach dem am Oberschenkel verletzten Salzburger Angreifer Karim Adeyemi einen wichtigen Führungsspieler fürs erste aus seinen Planungen streichen: Joshua Kimmich wird in diesen Tagen erneut Papa und bleibt darum zunächst daheim bei seiner Lebenspartnerin. Lina Meyer und der Bayern-Profi erwarten ihr drittes gemeinsames Kind.

«Jo ist ein absoluter Familienmensch. Die Geburt eines Kindes ist ein ganz besonderer Moment im Leben», sagte Flick. Gleichwohl hofft der Bundestrainer auf eine spätere Anreise des Mittelfeldspielers. «Wir hoffen, dass er, wenn alles gut verlaufen ist, dann bald bei uns ist.» Flick bräuchte Kimmich gerade für den bedeutenden Prüfstein gegen Holland, zumal aus dem starken Bayern-Block schon Niklas Süle (Muskelfaserriss) und Leon Goretzka fehlen, der nach einer längeren Wettkampfpause wegen Knie-Problemen noch nicht wieder gespielt hat.

Kimmich wird erneut Papa und fehlt

Kimmich hatte übrigens schon die letzten zwei WM-Quali-Spiele im November verpasst. Damals musste er nach einer Corona-Infektion von Vereinskollege Süle als ungeimpfte Kontaktperson vom DFB-Team aus Wolfsburg abreisen und sich in Quarantäne begeben. Am Montag gab es dann schon wieder eine schlechte Corona-Nachricht. Verteidiger Robin Koch von Leeds United konnte wegen eines positiven Schnelltests erst gar nicht in Frankfurt anreisen, teilte der DFB mit.

Exakt acht Monate waren es am Montag noch bis zum Anpfiff der Fußball-Weltmeisterschaft in Katar am 21. November. Auf den ersten Blick ist das viel Zeit – aber nicht für Flick. Nur drei Lehrgänge mit noch acht Länderspielen bleiben dem DFB-Chefcoach, um die 23 Akteure herauszufiltern, mit denen er Weltmeister werden möchte.

Der WM-Countdown beginnt darum jetzt. Diese Botschaft will Flick den ohne Kimmich, Adeyemi und Koch noch 23 Akteuren bei jedem Training und in jeder Teamsitzung verdeutlichen. Da mehrere etablierte Akteure wie Süle, Goretzka, Marco Reus, Robin Gosens oder Jonas Hofmann beim Auftakt 2022 fehlen, hat Flick die WM-Tür nochmal weit geöffnet.

Hoffnung für Stach und Rückkehrer

Neben dem Überraschungs-Neuling Anton Stach (Mainz 05) können sich die Rückkehrer Julian Weigl (Benfica Lissabon), Benjamin Henrichs (RB Leipzig) und Robin Koch (Leeds United) oder auch ein 2014-Weltmeister wie Julian Draxler (Paris Saint-Germain) zeigen und empfehlen. «Wir nutzen die knapp zehn Tage, um uns ein Bild zu machen von Spielern, von denen wir wenig wissen, die aber die Qualität zu Nationalspielern haben. Wenn wir es jetzt nicht machen, dann brauchen wir es nicht mehr zu machen. Dann haben wir keine Zeit mehr», erläuterte Flick.

So zufrieden er mit dem Neustart unter seiner Führung sein kann – sieben Spiele, sieben Siege, 31:2 Tore -, so sehr beschäftigt ihn die aktuell hohe Ausfallquote im DFB-Team. Und darum beginnt Flick das WM-Jahr mit einigen eindringlichen Appellen. Er braucht in den nur 28 Turniertagen von Katar «Spieler, die alle drei, vier Tage in der Lage sind, Höchstleistungen abzurufen». Er ist durchaus besorgt: «Wenn ich sehe, wie viele wichtige Spieler wieder angeschlagen sind, dann ist es ein ganz großes Ziel, dass wir da Stabilität reinbekommen.»

Flick nimmt WM-Kandidaten in die Pflicht

Flick fordert: «Jeder einzelne Spieler muss versuchen, an sich zu arbeiten! Nicht nur im technisch-taktischen Bereich, sondern auch physisch. Wenn wir in Katar erfolgreich sein wollen, dann ist das die absolute Grundvoraussetzung, dass alle Spieler topfit sind.»

Das Trainerteam werde in den kommenden Monaten genau hinschauen. Jeder müsse «einen Ticken mehr machen, um topfit zu sein», mahnte Flick: «Da liegt die Verantwortung bei jedem einzelnen Spieler. Das werden wir überprüfen.» Sonst ist das persönliche WM-Ticket futsch: «Wenn da das eine oder andere nicht so verläuft, wie wir uns das vorstellen, werden wir das klar den Spielern sagen.»

23 Katar-Plätze hat der Bundestrainer zu vergeben. Und Flick will die in der zweiten Jahreshälfte 2021 entfachte Aufbruchstimmung weiter schüren. «Die Fans honorieren, was auf dem Platz passiert, was mit der Mannschaft passiert. Es ist eine Entwicklung zu sehen, die sehr positiv ist.» Die Siegesserie zum Abschluss der WM-Qualifikation soll in den Tests gegen Israel und Holland möglichst fortgesetzt werden – mit oder ohne Kimich. «Für mich sind die Spiele letztendlich immer der Gradmesser, wo wir stehen», sagte Flick zum Start in die Woche.

Von Klaus Bergmann und Arne Richter, dpa