Football-Riese wankt: Der sportliche Niedergang der Patriots

In diesen Tagen wird das Missverhältnis zwischen glorreicher Historie und trister Gegenwart bei den New England Patriots besonders deutlich.

Das sogenannte «Patriots-Haus» im Herzen von Frankfurt erinnert vor dem Spiel gegen die Indianapolis Colts am Sonntag (15.30 Uhr/RTL und DAZN) an die ganz großen Erfolge des Traditionsclubs, für den seit Oktober auch Oliver Bierhoff (55) tätig ist. Erstmals in der Clubgeschichte wurden die sechs Vince-Lombardi-Trophäen ins Ausland verschifft. Zahlreiche Fotos, Shirts und Banner an den Wänden zeugen von großen Siegen – doch die sind alle lang her.

Brady-Abgang reißt große Lücke

Der Alltag sieht dreieinhalb Jahre nach dem Abgang von Quarterback-Legende Tom Brady ganz anders aus. Führte Brady das Team aus Foxborough noch zu zahlreichen Erfolgen und insgesamt sechs Titeln, sind die Patriots mit sieben Niederlagen aus neun Saisonspielen inzwischen eines der schlechtesten Football-Teams der NFL. 

In Deutschland wird die Pleitenserie gelassen genommen. Die Vorfreude auf das erstmalige Saison-Gastspiel im Frankfurter Stadion soll nichts trüben. «Das ist der erfolgreichste Club aller Zeiten, da führt nichts dran vorbei. Da stehen sechs Trophäen. Es stimmt, dass es dieses Jahr nicht so rund läuft. Das ist nach 20 Jahren auch mal okay. Ich bin mir sicher, dass man da wieder auf Vordermann kommt», sagte Ex-Profi Sebastian Vollmer. Selbst gegen die sportlich eher bescheidenen Colts befinden sich die Patriots eher in einer Außenseiterrolle.

Cheftrainer äußert Durchhalteparolen

Der Club erinnert derzeit an einen schlafenden Riesen, der die Weichen nach Bradys Abgang nicht gestellt bekommen hat. Dauert das sportliche Tief an, dürfte es auch für Trainer-Legende Bill Belichick eng werden. Als der 71 Jahre alte Coach Anfang dieser Woche mit Fragen zu seiner Zukunft konfrontiert wurde, reagierte er ganz knapp – und eher nichtssagend.

Ob er eine Jobgarantie für den Rest der Saison habe? Sein Fokus gelte nun dem Colts-Spiel. Ob er glaube, gegen die Colts bereits um seinen Job zu spielen? «Ich werde kontrollieren, was ich kontrollieren kann und unser Team für das Colts-Spiel vorbereiten», antwortete der sechsmalige Meistertrainer. Selbstbewusstsein klingt anders. Nach Bradys Abgang im Frühjahr 2020 könnte in Belichick bald die nächste große Säule der erfolgreichen Ära wegbrechen.

Am Freitag leitete der Routinier auf dem DFB-Campus im blauen Kapuzenpullover und mit Pudelmütze die erste und einzige Einheit der Patriots. Belichick will sich das besondere Erlebnis nicht von den Resultaten der bisherigen Saison schlechtmachen lassen. «Wir haben schon viele NFL-Spiele gespielt, aber dieses wird ein bisschen anders», sagte der Chefcoach. Belichick sprach von einer «einzigartigen Erfahrung» für den Verein und allen voran die Profis.

Der besondere Stellenwert des Deutschland-Gastspiels

Dem Hype in Deutschland dürfte die sportliche Flaute keinen Abbruch tun. Zahlreiche Fans wollten rund um die Partie das in einem Hotel errichtete Patriots-Haus besuchen. Im Stadion dürften tausende in dunkelblau gekleidete Anhänger des Clubs dabei sein. «Die Patriots sind die erfolgreichste Franchise der vergangenen 20 Jahre, natürlich geprägt durch Belichick und Brady», sagte Berater Bierhoff. Doch die Erfolge von gestern helfen derzeit nicht, wie der frühere DFB-Funktionär anmerkt. «Jetzt ziehen andere Teams nach. Das ist ja das Spannende am US-Sport: Es gibt immer wieder Abwechslung, es ist ein ständiges Auf und Ab.»

Eine Playoff-Teilnahme ist für den deutschen Publikumsmagneten in dieser Saison nicht mehr realistisch. Doch wie weiter mit Belichick, der das Team seit 2000 coacht und im Verein Legendenstatus genießt? Ex-Profi Vollmer hat dazu eine klare Meinung. «Also ich glaube, dass er unangefochten einer der besten Coaches ist, die es in der Liga je gab. Das steht für sich selbst», sagte der frühere Patriots-Akteur. Das Spiel gegen die Colts mag sportlich nicht die große Relevanz haben, ist auf dem wachsenden deutschen Markt aber eine exzellente Chance für Eigenwerbung.

Patrick Reichardt und Alina Grünky, dpa