Als der Defibrillator drei Monate nach dem Einsetzen seine erste und bis heute einzige Fehlfunktion hatte, war Katharina Bauer geschockt – nicht nur körperlich. «Mein erster Gedanke war: Was habe ich da für ein Monster in mir drin», sagt die Stabhochspringerin, die demnächst ihre Karriere beendet, über das 2018 implantierte, lebensrettende Gerät.
Sie hatte bei einer Physiotherapiebehandlung auf dem Bauch gelegen, war durch den Fehlimpuls hochgeflogen, hatte sich gedreht und war hart auf dem Boden gelandet. «Es hat sich angefühlt, als habe mich ein Pferd getreten», sagt Bauer im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur: «Aber ich habe das Trauma gemeinsam mit meiner Mutter bewältigt, die Hypnose-Coach ist.» Mit der Zeit wurde der Defibrillator vom «Monster» zu ihrem Vertrauten. «Ich sehe ihn heute als meinen Schutzengel an», sagt die 33-Jährige: «Er gab mir immer die Sicherheit, dass mir nichts mehr passieren kann.»
Eingesetzt werden musste er 2018, weil sich schon in der Kindheit entdeckte extra Herzschläge in lebensbedrohlicher Höhe auch durch eine erste Operation nicht nachhaltig eindämmen ließen. Doch mit seiner Hilfe konnte Bauer seitdem nicht nur ein normales Leben führen, sondern entgegen aller Prognosen sogar ihre Karriere fortsetzen. Sie schaffte es zur Hallen-EM 2019 in Glasgow und zur WM im selben Jahr in Doha. «Das sind quasi meine Medaillen», sagt die Team-Europameisterin von 2014, deren größter sportlicher Einzelsieg der bei der deutschen Hallen-Meisterschaft 2018 war – kurz nach der ersten Herz-Operation und wenige Monate bevor der Defibrillator eingesetzt wurde.
Letzter Wettkampf in Beckum
Nun, mit 33, ist aber doch bald Schluss. Der Wettkampf am 10. September in Beckum wird ihr letzter sein. «Und das ist alles andere als eine Impulsentscheidung», sagt die für Leverkusen startende Wiesbadenerin. Ganz im Gegenteil. Der Körper hatte schon im Vorjahr Signale gesendet. «Ich habe gemerkt, es stimmt etwas nicht. Aber ich habe mich dagegen gewehrt. Ich liebe diesen Sport doch so», sagt Bauer: «Ich hatte in meiner Karriere vier Comebacks, zwei davon wegen Herz-Operationen. Und immer sagten die Ärzte mir, das sei mein Karriereende. Da konnte ich doch nun nicht einfach so aufhören.»
Ihr erfahrener Trainer Leszek Klima, der unter anderem Tim Lobinger und Danny Ecker zu Weltklasse-Athleten geformt hat, hatte längst etwas gespürt. «Ich merkte, dass sie unbewusst immer etwas weniger bereit war, Risiko zu gehen», sagt er. Aufgeben schien dennoch keine Option. Aber der Körper rebellierte. «Er schickt dir Signale, wenn er merkt, dass du nicht mehr auf deinem richtigen Lebensweg bist», sagt Bauer: «Irgendwann bekam ich sogar Panikattacken. Damit hatte ich noch nie zu tun.»
Also musste sie irgendwann einsehen: Die sportliche Karriere ist vorbei. Mitte Juni verkündete sie Klima ihren Entschluss. «Und von dem Moment an, in dem ich es ausgesprochen hatte, hatte ich keine Schmerzen mehr», sagt Bauer: «Auch die Panikattacken waren umgehend weg.»
Zweimal Olympia verpasst
Sportlich hätte sie im Rückblick «gerne mehr erreichen wollen. Du lernst aber auch: Das ist das Leben». Und es war ja nicht nur der Defi. Olympia 2016 verpasste sie wegen einer komplizierten Hand-Operation, die Spiele in Tokio nach einem Bandscheibenvorfall. «Es würde mich schon interessieren: Wie wäre meine Karriere verlaufen, wenn ich normal durchgekommen wäre? Aber relativ gesehen, habe ich so wahrscheinlich viel mehr erreicht.» Als sie bei der EM in die Halle kam, «dachte ich, ich träume. Viele hatten mich abgeschrieben. Ich war zwischenzeitlich aus dem Kader geflogen. Es blieben mein Trainer, meine Familie und ich gegen den Rest der Welt», sagt sie: «Und wir hatten es allen gezeigt.»
Auch Klima, seit über 45 Jahren Trainer, war beeindruckt: «Nach der ersten Einschätzung durfte sie keinen Leistungssport machen. Sie hat es gemacht. Mit dem Gefühl, dass jederzeit alles aus sein kann.» Dabei war der Defi «auf diesem Niveau ein echtes Handicap», sagt Klima: «Wir mussten darauf achten, dass bestimmte Laktatgrenzen nicht überschritten werden. Auch die Kraftübungen mussten wir beschränken.» Und Bauer musste lernen, neu zu landen, weil sie nicht auf den Defi fallen durfte.
Im Laufe der Zeit wurde sie auch zu einer Symbolfigur für Menschen mit Defibrillator. Das hatte sie nie geplant, doch inzwischen geht sie darin auf. «Ich fühle eine Berufung darin, anderen Menschen etwas weiterzugeben», sagt sie. Ja, mehr noch. Hier soll das neue Beschäftigungsfeld der Hessin liegen, die internationales Management studiert hat. «Der Tag, an dem ich einen Defi bekam, war zunächst der schlimmste Tag in meinem Leben», sagt sie: «Aber er hat irgendwie auch meine Zukunft geebnet.» Im September gibt sie mit der Co-Autorin ihres Buches ein erstes Yoga Retreat auf den Malediven, weitere sollen folgen. Dazu will sie weitere Bücher schreiben, als Keynote-Speakerin und Coach fungieren, Markenbotschafterin für ihren Defi-Hersteller sein und ehrenamtlich den Vorsitz von «Defi Deutschland» übernehmen, dem Bundesverband für entsprechenden Selbsthilfegruppen.
«Die Kämpfer-Batterie für den Sport war leer. Alles hat viel Kraft gekostet», sagt sie: «Aber die Batterie für das, was kommt, ist zu 100 Prozent voll.» Klima macht sich um sie keine Sorgen. «Alles, was sie tut, tut sie mit Hingabe», sagt der Trainer: «Mit ihrem Charakter, ihrem Fleiß und ihrer positiven Art wird sie im Leben noch weit kommen.»