Galaktischer Ungarn-Keeper: Gulacsi «unglaublich stolz»

Immer wieder schweiften die Blicke des gigantischen Peter Gulacsi über die Tribünen des Budapester EM-Vergnügungsparks. Nach seiner nächsten Gala-Vorstellung bei dieser Fußball-Endrunde suchte der überwältigte ungarische Nationaltorhüter die Nähe zu seiner Familie.

«Mein erster Gedanke war: Dass wir so etwas zusammen erleben dürfen», meinte der Schlussmann des Bundesligisten RB Leipzig nach dem überraschenden 1:1 (0:1) am Samstag gegen Weltmeister Frankreich, das die Magyaren im Turnier hält.

Galaktischer Gulacsi

Gulacsi wächst nochmal über sich hinaus. Das ist bei seinen bisherigen Leistungen für RB und das Nationalteam sowie einer Körpergröße von 1,91 Meter schwer genug. Der 31-Jährige entwickelt bei dieser Fußball-EM aber einen für den Co-Gastgeber überlebensnotwendigen Nervfaktor – ob es nun gegen Cristiano Ronaldo oder gegen Kylian Mbappé geht. Gelingt das auch gegen Thomas Müller?

Mehr als 55.000 Fans in der Puskas Arena bejubelten Gulacsi, der gegen Frankreich nur von Antoine Griezmann überwunden wurde. «Ich bin unglaublich stolz. Nach einem Jahr oft mit Geisterspielen so ein Spiel zu erleben, das ist toll», sagte der Torwart.

Eine galaktische Leistung von Gulacsi wird auch im Gruppenfinale gegen Deutschland am Mittwoch (21.00 Uhr/ZDF und MagentaTV) in München nötig sein, sonst ist die Endrunde für die Ungarn beendet. Nach nur einem Punkt bisher müssen sie gewinnen. Aber mit einem Gulacsi in dieser Form – wer weiß?

Leidenschaft schöpfen

«Gulacsi ist einer der besten Torhüter in Europa. Ich denke, dass es da normal ist, dass er solche Leistungen wie heute oder gegen Portugal zeigt», sagte Nationaltrainer Marco Rossi, der seinen Ersatzkapitän auf einem Level mit DFB-Keeper Manuel Neuer sieht. «Mit seinen Paraden war er für uns entscheidend.»

Attila Fiola (45.+2) hatte die Puskas Arena mit seinem Führungstor gegen Frankreich in ein Tollhaus verwandelt. Dieser Riesenpush von den heimischen Rängen wird den Ungarn in München allerdings fehlen. Sie müssen diese Leidenschaft nun aus sich selbst schöpfen. «Man muss wirklich stolz auf die Jungs sein. Sie sind die Hauptdarsteller und haben den Fans eine besondere Adrenalinbombe an Emotionen gegeben, so dass jeder einen fantastischen Tag hatte», sagte Rossi.

Wüste Beschimpfungen von den Fans

Einige Zuschauer zeigten jedoch Aggression statt Emotion. Schon gegen den Titelverteidiger war Cristiano Ronaldo portugiesischen Medien zufolge von den Rängen in der Puskas Arena angepöbelt worden. Nun wurden französische Spieler von einigen Fans teils wüst und rassistisch beschimpft.

Wenn der schwarze Stürmer Mbappé am Ball war, ertönten immer wieder Affenlaute von den Rängen. Dies berichtete ein dpa-Reporter aus dem Stadion. Angreifer Karim Benzema, der algerische Wurzeln hat, wurde ebenfalls vereinzelt verbal angepöbelt. Wegen «möglicher diskriminierender Vorfälle» in den beiden Partien leitete die UEFA Ermittlungen ein. Konsequenzen drohen also.

Echtes Gruppenfinale für Ungarn

Ungarns Kapitän Adam Szalai vom FSV Mainz 05 erlebte einen unglücklichen Tag, da er nach einem Treffer am Kopf schon in der ersten Halbzeit in der Kabine bleiben musste und anschließend ins Krankenhaus zur Untersuchung musste. Nach eingehenden Untersuchungen bestehe die Hoffnung, dass der Stürmer gegen Deutschland einsatzbereit sei, teilte der Verband mit. Gulacsi & Co., die nach dem Schlusspfiff ihre Liebsten herzten und mit ihnen posierten, kämpften aber für den Mainzer mit. Wer hätte gedacht, dass Ungarn ein echtes Gruppenfinale bekommt?

«Ich bin nicht dumm und arrogant. Ich sage nicht, dass wir nach München fahren und gewinnen», meinte Rossi, dessen Sohn Simone auf der Tribüne ob des Punktgewinns seines Vaters vollkommen aus dem Häuschen war. «Ich sage, dass wir nach München fahren und alles versuchen werden, um das beste Ergebnis zu erzielen.»

Das wird schwer genug gegen eine deutsche Mannschaft, die nach dem 4:2 gegen Portugal in der EM richtig angekommen ist. Mit ihrer Hingabe könnten die Ungarn ihre spielerischen Schwächen aber etwas wettmachen und es Joachim Löws Team sehr schwer machen. «Wir wollen in München gewinnen und weiterkommen», verkündete Roland Sallai vom SC Freiburg selbstbewusst. Und Rossi meinte ganz verspielt: «Ich bin hier und fühle mich wie ein Kind, das einen Freizeitpark besucht und die Fahrgeschäfte ausprobieren will.»

Von Martin Moravec und Robert Michael, dpa