Gegen die Krise: Flicks Aufbauarbeit in Wolfsburg

Gut ging es für Hansi Flick schon wieder nicht los. Bei strahlendem Sonnenschein verkündete der Bundestrainer beim ersten Training der Nationalmannschaft in Wolfsburg vor dem Wiedersehen mit dem WM-Schreck Japan, dass Niclas Füllkrug wieder abreisen muss.

An diesem Samstag (20.45 Uhr/RTL) im so bedeutsamen Stimmungstest gegen Japan müssen also andere die Tore schießen. Und Tore braucht Flick dringend in dieser Krise des deutschen Fußballs, die inzwischen weit über die DFB-Auswahl hinausgeht.

«Die A-Nationalmannschaft, die U21, die Frauen – all das erscheint aktuell leider eher negativ», sagte Sportdirektor Rudi Völler in einem Interview des Redaktionsnetzwerks Deutschland. Am Dienstag beriet sich der einstige Teamchef auf dem Nebenplatz des Wolfsburger Stadiongeländes lange mit Flick und dem verletzten Neu-Dortmunder Füllkrug, ehe er sich in den Schatten zurückzog. Die Stimmung schien gut – und doch hängt alles an den Spielen gegen die unberechenbaren Japaner und den Vize-Weltmeister Frankreich am Dienstag kommender Woche in Dortmund.

Ansage von Gosens

«Wir wissen ganz genau, was auf dem Spiel steht. Wir stehen auch beim Trainer ein bisschen in der Schuld, weil wir diejenigen sind, die auf den Platz gehen und die Resultate erzielen müssen», sagte Außenspieler Robin Gosens. «Das wollen wir jetzt unbedingt machen, erst gegen Japan, dann gegen Frankreich.» Jeder sei sich des Ernstes der Lage bewusst, versicherte der 29-Jährige und versprach: «Wir müssen liefern, und das werden wir tun!» Neuling Pascal Groß saß neben Gosens und sagte, er probiere «viel Energie und Positivität mit in die Mannschaft zu bringen». Er hoffe, «dass wir erfolgreich spielen können».

Flicks schwache Nationalmannschaft als Paradebeispiel war zuletzt einbezogen worden in die Diskussion über angeblich fehlende Leistungsbereitschaft beim Nachwuchs und in der Gesellschaft generell. Während andere sich über die Reform der Bundesjugendspiele ausließen, sprach der streitbare Ex-DFB-Sportdirektor Matthias Sammer in der «Süddeutschen Zeitung» über die «größte Krise, die der deutsche Fußball in der jüngeren Vergangenheit erlebt hat». Der Status quo: «Wir liegen am Boden.»

Wenn Sammer solche Sachen sagt, werden Völler und Flick dazu befragt. «Ich bin mit Matthias im Austausch, er ist mit seinen Aussagen oft sehr direkt, manchmal überzeichnet er auch ganz bewusst. Aber: Mit vielen Dingen hat er auch recht!», sagte Völler. Er sitzt mit Sammer in der aktuell besorgniserregend ergebnislosen Task Force des Deutschen Fußball-Bunds (DFB), die nach dem WM-Aus aufräumen sollte. Sammer «brennt für die Sache», sagte Flick: «Es ist nicht immer bequem, aber immer gut, einen solch kritischen Geist dabeizuhaben.»

Misslungene Experimentierphase

Mit der Kritik umzugehen, hatte in den vergangenen Wochen einen großen Teil von Flicks nicht einfacher Bundestrainer-Arbeit ausgemacht. Nach der misslungenen Experimentierphase im Juni mit drei Flop-Spielen habe es jetzt «eine Zäsur» gegeben. «Eine neue Phase hat begonnen», sagte Flick, der wegen Füllkrugs Oberschenkelproblemen bereits vorsorglich Thomas Müller nachnominiert hatte. Der Bayern-Profi war im ersten Training sofort wieder mittendrin. Beim Treffpunkt am Montag im Teamhotel war der Weltmeister von 2014 der Einzige, dem einige Fans bunte Plakate gewidmet hatten.

Ob Müller gegen Japan sofort spielt, ist fraglich. Flick hatte angekündigt, jetzt endlich seine «Kernmannschaft» für die Heim-EM im kommenden Jahr finden zu wollen. Auf der Füllkrug-Position dürfte eher Arsenal-Profi Kai Havertz beginnen. Auch der 24-Jährige kann Tore schießen. Beim 1:2-Schock gegen Japan vor gut neun Monaten bei der WM hatte einzig Ilkay Gündogan getroffen, und das per Elfmeter.

Bei einer erneuten Niederlage gegen die Auswahl um den treffsicheren Bundesligaprofi Takuma Asano vom VfL Bochum erwarten Flick stürmische drei Tage bis zum Frankreich-Spiel. Sich mit einem möglichen Aus beim DFB zu beschäftigen, sei «kein guter Ratgeber», sagte der 58 Jahre alte Bundestrainer: «So kann ich doch nicht in die Spiele gehen!»

Von Jan Mies und Klaus Bergmann, dpa