«Geht nicht» und «passt nicht»: Druck auf Profisport wächst

Wenige Tage vor dem Bundesliga-Gipfel Dortmund gegen Bayern wächst der Corona-Druck auf den Profifußball von Tag zu Tag mehr.

Während sich die alte und die neue Regierung inmitten der drastischen vierten Pandemiewelle über allerlei Themen in der Bekämpfung streiten, scheint ein Umstand inzwischen Konsens: Szenen wie am Samstag in Köln, wo 50.000 Fans weitgehend maskenlos und ohne jeglichen Abstand feierten, sollen sich während des nächsten harten Corona-Winters so schnell nicht wiederholen.

So könnte auch in Nordrhein-Westfalen, wo die eindrücklichen Szenen herkamen, schnell verschärft werden. «Wir haben ja Bilder gesehen am Wochenende – auch vom Fußball. Auf der anderen Seite kommen aus anderen Bundesländern – weil wir noch Kapazitäten haben, weil bei uns die Lage noch beherrschbar ist – Patienten zu uns eingeflogen», sagte Ministerpräsident Hendrik Wüst im ARD-Mittagsmagazin.

Flickenteppich in der Bundesliga

«Das sind Dinge, die nicht zusammenpassen. Und an solche Sachen werden wir auch rangehen», kündigte der CDU-Politiker an. Auch die Bundesregierung hat kein Verständnis. In der jetzigen Phase der Corona-Pandemie sei jeder Kontakt ein Ansteckungsrisiko, erklärte Regierungssprecher Steffen Seibert. Deshalb sei eine Zusammenkunft in der Größenordnung von Köln «ganz schwer zu verstehen.»

FDP-Chef Christian Lindner hatte sich in der ARD ähnlich geäußert: «Auch wenn ich Fußball-Fan bin: In den Größen, in denen die Stadien jetzt besetzt sind, geht das nicht.» Der aktuelle Flickenteppich in Deutschlands höchster Fußball-Spielklasse reicht von Geisterspielen in Sachsen bis hin zur Vollauslastung im Westen. «Es ist sehr, sehr schwer vermittelbar, wenn an einem Tag in Köln 50.000 Zuschauer sind und einen Tag später in Leipzig kein einziger Zuschauer zugelassen ist», sagte DFB-Interimspräsident Rainer Koch am Montag in Faro.

Nicht nur mit Blick auf eine mögliche Wettbewerbsverzerrung wird dies immer kritischer gesehen. Es geht neben der seit Wochen steigenden Infektionsgefahr trotz aller Schutzmaßnahmen wie Impfungen oder zusätzlichen Tests auch um die Signalwirkung: In allen Lebensbereichen werden Maßnahmen verschärft oder Beschränkungen vorgenommen, nur im Fußball sind Events mit mehreren Zehntausenden Menschen Wochenende für Wochenende Normalzustand.

Geisterspiele kommen

Die Argumentationslinie der Clubs ist klar und bezieht sich auch auf Studien der Deutschen Fußball Liga (DFL), die allerdings zu einem deutlich früheren Zeitpunkt bei niedrigeren Inzidenzen durchgeführt wurden: Fußball ist kein Pandemietreiber, die Infektionsgefahr an der frischen Luft nicht deutlich erhöht. Es geht aber auch um Anreise, Abreise, Stadioneinlass sowie die Fahrten von Auswärtsfans quer durch Deutschland. Hier könnte die DFL am ehesten ansetzen, um der Politik entgegenzukommen. Aus Sicht von Stuttgarts Vereinsboss Thomas Hitzlsperger würde es «die Impfkampagne konterkarieren, wenn Geimpfte und Genesene nicht ins Stadion dürfen.»

Für den VfB droht aber genau dieses finanziell «dramatische» (Hitzlsperger) Szenario. Nach Sachsen (keine Zuschauer) und Bayern (ein Viertel der Fans nach 2G-plus-Regel) wird auch Baden-Württemberg seine Regelungen für Sportveranstaltungen anpassen. Am Montag und Dienstag sollte über weitere Corona-Verschärfungen beraten werden. «Aber es ist klar, dass im Profifußball Geisterspiele kommen», sagte Regierungssprecher Arne Braun der dpa. Andere Länder dürften folgen. Dass der Klassiker BVB gegen München wie geplant vor 67.500 Fans steigt, darf ebenfalls stark bezweifelt werden. «Die Beratungen zu dem Thema dauern noch an», hieß es von der Stadt Dortmund am Montag.

In der Spitzenpolitik herrscht quasi Einigkeit. Neben Lindner machten sich auch Markus Söder (CSU), Karl Lauterbach (SPD) und Katrin Göring-Eckardt (Grüne) dafür stark, die Zuschauerzahl zu reduzieren oder nach dem Frühjahr und Herbst 2020 ein drittes Mal komplett auf leere Ränge zu wechseln. Söder forderte via Twitter neben einem Lockdown in Hotspots und Masken in allen Schulen auch «Fußballspiele ohne Zuschauer.» Wer Söder in der Pandemie erlebt hat, weiß, dass er auf diese Forderung weiterhin drängen wird.

Finanzielle Sorgen

Auffällig ist, dass selbst zuschauerstarke Clubs wie der FC Bayern München oder Eintracht Frankfurt Probleme haben, das reduzierte Kontingent vollzählig zu besetzen. Sowohl in München als auch in Frankfurt kamen am Wochenende deutlich weniger Zuschauer als genehmigt. Dies kann mehrere Gründe haben: Neben dem schlechten und nasskalten Wetter gibt es auch immer größere Hürden, zum Beispiel der in Bayern nötige zusätzliche Test als Geimpfter oder Genesener. Auch wenn in Köln leichtfertiger mit der Ansteckungsgefahr umgegangen wurde, könnte diese an anderen Orten eine Rolle gespielt haben.

Die Proficlubs, deren akute finanzielle Sorgen verständlich sind, vertun dabei die Chance, proaktiv zu handeln. Wenn Mainz 05 seine Zuschauerkapazität freiwillig von 30.000 auf 27.000 Menschen reduziert, ist das ein von anderen Clubs ausbleibender Impuls und auch eine gut gemeinte Geste. Ein echtes Signal ist es aber nicht.

Der Profifußball scheint in Bezug auf seine mit Detailarbeit entwickelten Hygienekonzepte abzuwarten, bis Bund, Länder und Gesundheitsämter wegen der kritischen Pandemielage wieder ernst machen. Ein echtes Entgegenkommen ist bisher nicht zu beobachten. «Ich glaube, wichtig ist, dass der Fußball sichtbar und deutlich macht, dass er sich seiner medialen Verantwortung bewusst ist», merkte DFB-Boss Koch an.

Andere Sportligen im Basketball, Handball und Eishockey müssen sich wohl auch wieder auf Geisterspiele einstellen. Vor ein paar Wochen hatte Basketball-Bundesliga-Boss Stefan Holz die Partien ohne Zuschauer noch als «Schreckensszenario am Horizont» bezeichnet. «Jetzt ist dieses Schreckensszenario nicht mehr am Horizont, sondern zum Greifen nahe», sagte Holz der dpa. Gedanken an eine Unterbrechung gibt es aber nicht. «Wenn mir einer sagen würde, nach einem Monat Pause ist die Lage im Januar wieder besser und ihr könnt dann überall wieder vor vollen Rängen spielen, dann vielleicht. Aber weil dir das keiner sagen kann, ist eine Pause kein Thema», sagte Holz.

Von Patrick Reichardt, Lars Reinefeld und Ulrike John, dpa