Gänsehaut-Szenen im pickepackevollen Stadion An der Alten Försterei, knapp 60.000 ausgelassene Fans in Dortmund: Die Bilder vom Bundesliga-Wochenende begeisterten Fußballfans, könnten angesichts der drastischen Corona-Lage und dem nächsten drohenden knallharten Pandemie-Winter aber schon sehr bald der Vergangenheit angehören.
In Sachsen kehren ab kommender Woche ein weiteres Mal die Geisterspiele zurück, in Bayern dürfen maximal ein Viertel der Fans in die Stadien – und das nur, wenn sie geimpft oder genesen und zusätzlich negativ getestet sind.
Inmitten der finanziell und stimmungstechnisch extrem gefürchteten Drohkulisse Geisterspiele tobt weiter die Debatte um ungeimpfte Profis wie Nationalspieler Joshua Kimmich, der sich als Kontaktperson erneut in Quarantäne begeben müsste. Die Politik um die beiden Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) und Hendrik Wüst (CDU) erhöht angesichts der aktuellen Lage und den bevorstehenden Monaten immer mehr den Druck. Söder hatte 2G für den Profifußball als «sinnvoll» beschrieben, auch wenn das rechtlich schwierig durchzusetzen sei.
Sachsen und Bayern ergreifen Maßnahmen
Einfacher durchzusetzen ist da für die Länder, die Fans nach dem Frühjahr 2020 und dem Herbst 2020 ein drittes Mal pandemiebedingt aus den Stadien zu verbannen. Die derzeit besonders schwer von Corona betroffenen Bundesländer Bayern und Sachsen haben erste größere Maßnahmen in diese Richtung ergriffen, die in der Bundesliga besonders RB Leipzig betreffen.
Der Vize-Meister sieht «einen sportlichen Wettbewerbsnachteil, da wir derzeit der einzige Erstligist sind», der seine kommenden Heimspiele vor leeren Rängen austragen müsse. «Natürlich sind wir enttäuscht, aber die Situation in der Gesellschaft ist wichtiger jetzt als das, was im Stadion passiert», sagte Trainer Jesse Marsch. BVB-Boss Hans-Joachim Watzke merkte an, Fußball sei ein Freiluftsport. «Und ich bin schon der Meinung, dass wir uns nicht in Kollektiv-Haftung mit anderen Regionen nehmen lassen dürfen, die sich weniger haben impfen lassen und deshalb ganz andere Zahlen haben.»
Dortmund vor bis zu 70.000 und Leipzig vor Geisterkulisse? Da stellt sich unausweichlich die Frage, wie lange eine so krasse Schere Bestand haben wird. Im bisherigen Pandemie-Verlauf glichen sich die Regeln in den einzelnen Bundesländern meist schnell aneinander an, sowohl bei Verschärfungen als auch bei Lockerungen. Fakt ist aber auch: Nie unterschied sich die Pandemie-Lage geografisch so sehr wie jetzt, wo neben den reinen Inzidenzzahlen und Krankenhausbelegungen auch die jeweiligen Impfquoten entscheidend geworden sind.
Nach den Vorboten aus Bayern und Sachsen, die unter anderem auch den Handball, Basketball und den Wintersport betreffen, sorgen sich auch andere Fußballclubs vor erneuten Spielen ohne Publikum. Union-Trainer Urs Fischer sagte bei Sky: «Am Ende müssen auch wir uns an Bestimmungen halten. Das machen wir glaube ich sehr gut bei Union. Am Schluss geht es auch darum, Entscheidungen zu akzeptieren.» Er selbst befürworte Zuschauer, räumte aber auch ein: «Du kannst es nie allen recht machen.»
Berliner Derby als markantes Sinnbild
Die 22.012 Fans beim Berliner Stadtderby waren ein besonders markantes Sinnbild der «alten Normalität», die auch in vielen anderen Stadien am Wochenende herrschte. Hertha Sport-Geschäftsführer Fredi Bobic beklagte die exponierte Stellung des Fußballs in den derzeit so vielschichtigen Debatten. «Da wird mir zu viel über den Fußball gequatscht, man muss über den Sport reden.» Man wolle nicht «Spielball der Politik» sein.
In den zum Teil populistisch angehauchten Diskussionen um eine mögliche Impfpflicht oder 2G für Profisportler wirkte der Fußball zuletzt aber genau wie ein solcher «Spielball». Bayern-Trainer Julian Nagelsmann bedauerte den Ausfall seines Topspielers Kimmich beim 1:2 in Augsburg zwar, sagte aber auch: «Ich weiß nicht, warum Profisportler jetzt eine Impfpflicht brauchen und andere nicht.» Der ehemalige Vereinsboss Karl-Heinz Rummenigge sagte bei «Sky90 – die Fußballdebatte»: «Es ist eine Debatte, die den Verein langsam auch nervt. Alle haben versucht, das Thema Nichtimpfen zu bereinigen oder eine Lösung zu finden. Das ist nicht geglückt bis dato.»
Ob eine flächendeckende Impfung sämtliche Corona-Probleme des deutschen Profisports überhaupt lösen würde, erscheint mehr als fraglich. Am Samstag hatte das Handball-Spiel der SG Flensburg-Handewitt bei der TSV Hannover-Burgdorf abgesagt werden müssen, weil es bei der SG Durchbrüche von vier vollständig geimpften Spielern gegeben hatte. Allgemein häufen sich derzeit wieder Spielabsagen und Verlegungen wegen positiven Fällen und den folgenden Quarantäne-Anordnungen. Eine logische Folge der bundesweit steigenden Corona-Zahlen.
Ungeimpfter NBA-Star Irving außen vor
Andere sind in Sachen Impfpflicht schon deutlich weiter. Der millionenschwere Basketball-Star Kyrie Irving sitzt bei den Brooklyn Nets seit NBA-Saisonbeginn draußen, weil er ungeimpft ist. Die Stadt New York City verlangt von Hallensportlern einen Impfnachweis – weil Irving diesen nicht erbringen will, wird er derzeit vom Titelanwärter überhaupt nicht mehr berücksichtigt.
Auch bei den Olympischen Winterspielen in Peking (vorab drei Wochen Quarantäne für Ungeimpfte) und den Australian Open der Tennisprofis (nur geimpfte Teilnehmer) kommen Athleten kaum oder gar nicht am in Deutschland derzeit diskutierten 2G-Modell vorbei. Der Serbe Novak Djokovic ließ seine Teilnahme bei dem Turnier in Melbourne deshalb offen. «Wir werden sehen. Wir werden warten müssen und sehen», sagte der 20-malige Grand-Slam-Sieger, über dessen Impfstatus seit Monaten gerätselt wird.
Das gilt seit dem Wochenende auch für Fußballtrainer Markus Anfang, dessen Impfpass-Affäre für den Profifußball zu einem sehr unpassenden Zeitpunkt kam. Der 47-Jährige gab sein Amt als Chefcoach von Werder Bremen am Samstagmorgen auf und reagierte damit auf Vorwürfe, ein gefälschtes Impfzertifikat benutzt zu haben. Die Staatsanwaltschaft hatte am Freitag Ermittlungen eingeleitet, der Trainer bestreitet die Vorwürfe.