«Gerd Müller des Ostens»: Trauer um Joachim Streich

Joachim Streich knipste zunächst unter dem Radar. Als er mit 16 Jahren von seinem Jugendclub Wismar zu Hansa Rostock wechselte, durfte er zwar im Internat wohnen, wurde aber nicht verpflegt.

Dem Verband war die starke Trefferquote nicht aufgefallen – und keine Unterstützung wert. Schließlich halfen die älterem Mitbewohner dem Angreifer aus, der in seiner Karriere zum außergewöhnlichsten Stürmer der DDR reifen sollte. In der Nacht zum Samstag ist Joachim Streich nach langer und schwerer Krankheit im Alter von 71 Jahren verstorben.

Langjährige Krankheit

Der 102-malige Auswahlspieler der DDR, einst «Strich» genannt, litt an einem Myelodysplastischem Syndrom, das im schlimmsten Fall zu Blutkrebs führen kann. Streich war in den vergangenen Wochen wegen Blutarmut im fortgeschrittenen Stadium in Behandlung und musste eine Stammzellentransplantation wegen einer Lungenentzündung verschieben.

«Wir hatten bis zuletzt gehofft. Er war lange Zeit schwer krank. In den vergangenen Wochen ging es bergauf und bergab», sagte Marita Streich der Deutschen Presse-Agentur. Nach dem im Januar verstorbenen Hans-Jürgen Dörner verliert der Ost-Fußball binnen weniger Monate das nächste großes Idol.

«Wir sind fassungslos und trauern um unsere Vereinslegende Joachim Streich», teilte der 1. FC Magdeburg auf Twitter mit. Der SC Magdeburg drückte sein «tiefstes Mitgefühl und aufrichtiges Beileid» aus.

Viermal Torschützenkönig

Von 1967 bis 1975 spielte Streich beim FC Hansa, doch zu seinem Glück in Magdeburg wurde er nach dem Rostocker Abstieg sozusagen gezwungen. «Ich wollte weiter Oberliga spielen und zum FC Carl Zeiss Jena wechseln. Der Verein war sehr professionell aufgestellt, mit Trainer Hans Meyer herrschte bereits Einigkeit. Auch für meine Frau hatten sie in Jena eine Arbeitsstelle besorgt», hatte Streich der Deutschen Presse-Agentur kurz vor seinem 70. Geburtstag berichtet. Doch der Verband grätschte dazwischen und delegierte Streich zum FCM.

Seinen Leistungen tat das keinen Abbruch. Streich wurde viermal Torschützenkönig der DDR-Oberliga und mit dem FCM dreimal FDGB-Pokalsieger. Wegen seiner Schlitzohrigkeit wurde er oft mit Gerd Müller verglichen, für viele war Streich der «Gerd Müller des Ostens».

«Wir haben am Samstagabend in der Sportschau natürlich die Bundesliga geschaut. Gerd Müller war wegen seiner genialen Tore auch ein Vorbild für mich», sagte Streich, der mit der DDR-Auswahl 1972 Olympia-Bronze gewann und 1974 an der Weltmeisterschaft teilnahm: «Es gab national wie international viele tolle Momente, aber mein 100. Länderspiel im Londoner Wembley Stadion bleibt mir besonders gut in Erinnerung.»

Rekorde für die Ewigkeit

Der Stürmer traf in seinen 102 Spielen im DDR-Trikot 55 Mal. Hinzu kommen 229 Tore in 378 Spielen der Oberliga – Rekorde für die Ewigkeit. Trotz dieser beeindruckenden Zahlen stand Streich während seiner Karriere oft in der Kritik. «Der damalige «FuWo»-Chefredakteur Klaus Schlegel hat mich oft herausgepickt und mich für meine aus seiner Sicht mangelhafte Laufleistung und Spielweise kritisiert. Jürgen Croy wollte mich danach moralisch immer aufbauen. Da habe ich ihm gesagt: «Jürgen, du musst mich nicht aufrichten. Ich weiß, dass ich hier der Beste bin»», sagte Streich.

Bis zuletzt lebte Streich in der Nähe von Magdeburg. Seine große Liebe fand der Wismeraner an der Ostsee. 1970 lernte er seine Marita kennen, die Hochzeit folgte ein Jahr später. Die Geburt von Tochter Nadine machte das Glück perfekt. Eine Republikflucht stand deshalb nie zur Debatte. Sportlich, davon war Streich überzeugt, hätte er es gepackt: «Aber ich glaube, und das haben die Vergleiche mit den westdeutschen Mannschaften gezeigt, dass ich mich auch in der Bundesliga durchgesetzt hätte.»

Von Tom Bachmann und Franko Koitzsch, dpa