«Geschichte schreiben» England will DFB-Fluch stoppen

War da was, Deutschland? Nach Jahren der Enttäuschungen, Demütigungen und bitteren Lehrstunden durch die auf der Insel so gefürchtete DFB-Auswahl sagt sich England vor dem EM-Kracher der beiden Erzrivalen: Es reicht!

Wenn die deutsche Mannschaft am Dienstag (18.00 Uhr/ARD und Magenta TV) zum Achtelfinale im englischen Fußball-Heiligtum Wembley antritt, wollen die Three Lions einem ihrer schwärzesten Kapitel endlich ein Ende setzen.

Southgate will «Geschichte schreiben»

«Diese Mannschaft kann mit diesem Spiel Geschichte schreiben und den Menschen für die Zukunft Erinnerungen an Duelle zwischen Deutschland und England mitgeben, die anders sind als die, mit denen sie in den letzten Tagen überflutet worden sind», sagte Englands Trainer Gareth Southgate. Bis zu 45.000 hauptsächlich englische Fans werden ihr Team in London antreiben. Was sie nicht sehen wollen: Die nächste Pleite gegen «The Germans» in einem K.o.-Duell. Seit 55 Jahren haben die Three Lions bei großen Turnieren jedes dieser Alles-oder-Nichts-Spiele gegen Deutschland verloren.

«Man kann diese Dinge im Kopf so groß machen, wie man will. Aber im Endeffekt ist es ein Fußballspiel», sagte Southgate. «Wir wollen uns auf die Dinge fokussieren, die wir kontrollieren können. Es ist ein Spiel und die Möglichkeit, ins Viertelfinale zu kommen. Darauf konzentrieren wir uns.» Southgate gibt sich seit einer Woche Mühe, die Bedeutung der Partie und damit auch den Druck für seine Spieler in Grenzen zu halten.

Doch je näher der Anpfiff rückt, desto mehr steigt in England die Anspannung. Schon seit Tagen erinnern Medien, Anhänger und Experten unermüdlich an die lange Liste der Erniedrigungen durch die deutsche Mannschaft. Etwa an die verlorenen Elfmeterschießen im WM-Halbfinale 1990 oder im EM-Halbfinale 1996, als Englands heutigem Coach Southgate gegen den überragenden Torhüter Andreas Köpke die Nerven versagten. Oder an das WM-Achtelfinale 2010, als ein Schuss von Frank Lampard von der Unterkante der Latte klar hinter der Torlinie aufkam – nur der Schiedsrichter sah es nicht. Am Ende gewann Deutschland 4:1. Jetzt zittert England wieder.

Geschichte ausblenden

Dabei geben sich Southgate und seine Spieler seit Tagen die allergrößte Mühe, die Historie kleinzuhalten. Dass Deutschland die vergangenen vier K.o.-Duelle bei großen Turnieren alle gewinnen konnte, habe für viele seiner Spieler «überhaupt keine Bedeutung, weil sie da noch nicht mal geboren waren», sagte Southgate. Für Mittelfeldspieler Kalvin Phillips zählt nur das Hier und Jetzt. «Ob wir vor Jahren gegen Deutschland mal gut oder schlecht waren, spielt keine Rolle. Es geht darum, wie wir am Dienstag spielen», sagte das Kraftpaket von Leeds United. Zudem habe man «viele Spieler mit großem Selbstbewusstsein», sagte Kapitän Harry Kane.

Dass die Engländer ihre eigene Geschichte am Dienstag tatsächlich ausblenden können, glaubt Thomas Müller nicht. «Die Engländer versuchen, sich ein bisschen Selbstbewusstsein einzureden», meinte der Offensivspieler vom FC Bayern München. Tatsache ist, dass keiner der aktuellen englischen Nationalspieler bei Lampards «Wembley-Tor» 2010 und damit dem jüngsten K.o.-Drama zwischen beiden Teams schon auf dem Platz stand. England tritt bei der EM mit einer jungen, teilweise noch unerfahrenen Mannschaft an. Viele Akteure sind dafür aber auch noch unbelastet, was die Rivalität zu Deutschland angeht.

Spieler wie Phillips, Declan Rice (West Ham United), Jack Grealish (Aston Villa) oder Bukayo Saka (FC Arsenal) zählen international (noch) nicht zur ersten Garde, sie lieferten bei diesem Turnier aber zum Teil bereits starke Vorstellungen ab. «Ich war erst elf, als das Tor von Lampard nicht gegeben wurde. Das ist meine Haupterinnerung an die Geschichte zwischen England und Deutschland», sagte der 22-jährige Rice zuletzt. Am Dienstag wollen er und seine Teamkollegen der Geschichte nun ein neues, eigenes Kapitel hinzufügen. Ganz so wie es sich ihr Trainer wünscht. Und eine ganze Nation.

Von Nils Bastek, dpa