Gigantentreffen im ersten Halbfinale – Duell der «Mister»

Wenige Stunden vor dem Wahnsinns-Halbfinale in London war bei Roberto Mancini von Anspannung noch nichts zu sehen. «Man muss in der Vorbereitung kühlen Kopf bewahren. Später steigt auch bei mir die Vorfreude», sagte Italiens Nationaltrainer vor dem Klassiker gegen Spanien in London.

Am Dienstag (21.00 Uhr/ARD und Magenta TV) und dank der fragwürdigen britischen Corona-Strategie vor 60.000 Zuschauern trifft die Squadra Azzurra in Wembley auf Spanien – für Millionen Fans das vorweg genommene Endspiel der Fußball-EM. «Wir wissen, dass wir ein großes Spiel brauchen», sagte Mancini, der mit den Azzurri gut gelaunt als erstes Team in London eingetroffen war.

«Wir alle wollen ins Finale»

Der spanische Nationaltrainer Luis Enrique ließ es etwas ruhiger angehen. Als die Italiener am Vormittag in den Mannschaftsbus stiegen, dürfte der Mister des dreimaligen Europameisters gerade sein Abschlusstraining beendet haben. Mit stylisher roter Sonnenbrille schwor er sein Team auf das Gigantentreffen in England ein. Das Ziel? «Wir haben die Möglichkeit, ein Finale zu spielen. Wir haben ein großes Ziel vor uns und müssen bei 100 Prozent sein», sagte der 51-Jährige, dessen persönliches Duell mit Mancini große Fußballkunst verspricht.

Die Italiener sind seit 32 Spielen ungeschlagen, spätestens bei diesem Turnier fiel der Mythos der biederen, nur auf die Defensive ausgelegten Azzurri. Den spanischen Tiki-Taka-Fußball werde seine Elf nicht kopieren, kündigte Mancini an: «Unser Fußball ist anders, wir werden versuchen, unser Spiel durchzubringen.» Verteidiger Leonardo Bonucci versprach: «Wir haben große Lust, eine großartige Leistung zu zeigen, diese Partie mit Leidenschaft zu leben und weiterzukommen.» Enrique prophezeite, dass beide Teams hart um viel Ballbesitz kämpfen werden. «Wir brauchen den Ball, wir wollen den Ball», sagte er.

Beide Fußball-Nationen kennen sich aus vergangenen EM-Spielen bestens, beide machten schmerzliche Erfahrungen mit dem Gegner. Bei der Endrunde 2008 gewannen die Spanier auf dem Weg zum Titel im Viertelfinale gegen den damaligen Weltmeister im Elfmeterschießen, 2012 hatte die Squadra Azzurra beim spanischen 4:0 im Finale keine Chance. «Das ist eine sehr bittere Erinnerung», gab Bonucci zu. Vor fünf Jahren gewann dagegen Italien das EM-Achtelfinale gegen die Spanier. Das Führungstor erzielte: Giorgio Chiellini.

«Details» werden Unterschied machen

Der Kapitän (36) bildet mit Leonardo Bonucci (34) die alternde, aber bei der EM kaum zu überwindende Innenverteidigung der Mancini-Elf . Chiellini war auch schon 2008 fester Bestandteil der italienischen Mannschaft – der EM-Titel am 11. Juni wieder in Wembley wäre seine Krönung. «Wir müssen sehr gut gegen den Ball arbeiten», forderte Bonucci, der weiß, dass es auf ihn und seinen Nebenmann Chiellini besonders ankommen wird. «Es ist ein großer Anreiz für uns, in so einem Stadion auf eine starke Mannschaft zu treffen.»

Die spanischen Ballkünstler, die holprig in die EM gestartet waren, müssen einen Weg finden, an beiden vorbei zu kommen. Enrique ist das absolut zuzutrauen. Der 51 Jahre alte Taktiker lässt im offensiven 4-3-3-System spielen, im Halbfinale könnte der Leipziger Dani Olmo in die Startformation zurückkehren. Zur Schlüsselfigur wurde neben Kapitän Sergio Busquets bei dieser EM Teenager Pedri, der mit 18 Jahren jüngste Spanier im Kader mit einem Talent, das beim FC Barcelona schon an die ganz Großen erinnert. «Luis Enrique, der Anführer, der eine Mannschaft aus dem Nichts erschaffen hat», schrieb die Zeitung «Sport».

In London würden «Details» den Unterschied ausmachen, sagte Stürmer Gerard Moreno im Interview der Zeitung «Sport». Die «Gazzetta dello Sport» konzentrierte sich auf eine Analyse des Mittelfelds, in dem Italiens «Genies» Lorenzo Insigne, Marco Verratti und Nicolò Barella besser sein sollen als Busquets, Pedri und Koke. «Der Trainer hat uns eine Siegermentalität vermittelt. Wir gehen in jedes Spiel, um es zu gewinnen», sagte Barella.

Die Fans in Wembley freuen sich – auch, wenn es viele Engländer sein werden. Dies sei «sehr ungerecht», sagte Mancini. Wegen der strikten Corona-Regeln dürfen Spanier und Italiener ohne Quarantäne nicht einreisen, Karten werden größtenteils nur an Zuschauer vergeben, die in Großbritannien leben. «Wir brauchen euch!», twitterte der spanische Verband am Montag in Richtung der britischen Spanier. Enrique gab am Montagabend an, nicht allzu viele Gedanken an die Zuschauerfrage verschwenden zu wollen. «Das ist eine komische Situation. Ich wünschte, es wären mehr Spanier und Italiener da. Wir hätten es gerne anders, aber wir akzeptieren es», sagte der Trainer.

Die voraussichtlichen Aufstellungen:

ITALIEN: 21 Donnarumma – 2 Di Lorenzo, 19 Bonucci, 3 Chiellini, 13 Emerson – 18 Barella, 8 Jorginho, 6 Verratti – 14 Chiesa, 17 Immobile, 10 Insigne

SPANIEN: 23 Unai Simón – 2 Azpilicueta, 12 García, 24 Laporte, 18 Alba – 8 Koke, 5 Busquets 26 Pedri – 9 Moreno, 7 Morata, 19 Olmo

Schiedsrichter: Felix Brych (Deutschland)

Von Jan Mies, Miriam Schmidt und Nils Bastek, dpa