Gold und Tränen: Krajewski feiert nach Team-Enttäuschung

Die Tränen kullerten Julia Krajewski über die Wangen. Als die Anspannung nach dem überraschenden Gold-Coup bei Olympia entwichen war und die Freude die Reiterin übermannte, gab es kein Halten mehr. Auf dem Abreiteplatz und auch später bei der Siegerehrung hatte die 32-Jährige aus Warendorf am Montag in Tokio feuchte Augen. «Ich kann es gar nicht fassen», sagte die unerwartete Siegerin in ihrem ersten Interview nach dem Medaillen-Coup: «Es ist irgendwie ein Traum!»

Als letzte Starterin der Vielseitigkeits-Konkurrenz hatte Krajewski zuvor in den Parcours reiten müssen, durfte sich keinen Abwurf mit ihrer Stute Amande leisten – und sie hielt diesem Druck stand, blieb ohne fallende Stangen und durfte als erste Frau im Pferdesport-Dreikampf Olympia-Gold feiern. «Ich habe immer daran geglaubt», sagte die Reiterin. Aber: «Dass das jetzt mit der Gold-Medaille belohnt wird, kann ich noch gar nicht fassen.»

Lob gab es von Bundestrainer Hans Melzer. «Sie ist wirklich eine ganz würdige Olympiasiegerin. Das war reiterisch vom allerfeinsten», sagte er und schwärmte: «Sie hat es verdient. Sie war in allen drei Teil-Disziplinen überragend.»

Auch ihr Vorgänger sprach von ihr in den höchsten Tönen. «Das war wirklich bilderbuchmäßig», sagte Michael Jung, der 2012 in London und 2016 in Rio jeweils Gold gewonnen hatte und in Tokio nur Achter wurde. «Das hat sie wunderbar gemacht. Das war ein verdienter Sieg auf jeden Fall!» Und Equipechef Dennis Peiler meinte: «Das war fantastisch. Dieser Wettbewerb war eine Achterbahn der Gefühle – und am Ende hat Julia bewiesen, dass sie absolute Weltklasse ist.»

Dieses Gold ist auch für die Reiterin selber ein «Stoff, aus dem Filme gemacht sind». Denn Krajewski hatte zuletzt einige Jahre «mit persönlichen, traurigen Momenten, alles, was man an Auf und Ab erleben kann». In Tokio ging es jetzt nicht abwärts, sondern auf das oberste Treppchen. Sie gewann nach einem unbedeutendem Zeitfehler mit nur 26 Strafpunkten vor dem Briten Tom McEwen mit Toledo (29,30) und dem Australier Andrew Hoy mit Vassily (29,60).

Viertes deutsches Einzel-Gold seit 2008

Krajewski krönte eine Aufholjagd nach Platz vier in der Dressur und einem makellosen Geländeritt mit zwei fehlerfreien Runden im Springen. Sie sicherte Deutschland das vierte Einzel-Gold in Serie nach Hinrich Romeike 2008 sowie Michael Jung 2012 und 2016.

Krajewski hatte in den vergangenen Jahren einiges zu verkraften. Doch Melzer hatte ihr immer wieder Mut zugesprochen, wie er verriet: «Das habe ich ihr auch gesagt, irgendwann kommt der Tag, da stehst du auf dem Treppchen nach dem vielen Hin und Her der letzten Jahre.»

Die Reiterin hatte tatsächlich sportlich wie privat einige Schläge zu verkraften. Anfang des Jahres starb ihr Vater, «der sich unwahrscheinlich freuen würde, das hier zu sehen», wie sie schon nach dem Geländeritt am Sonntag gesagt hatte.

Viele Rückschläge

2016 schied Krajewski in Rio noch nach drei Verweigerungen im Gelände mit Samourai aus. 2017 wurde bei ihrem Pferd die im Wettkampf verbotene Substanz Firocoxib gefunden und EM-Silber aberkannt. 2019 musste sie Chipmunk abgeben, das Pferd kam zu Jung, der es nun bei den Spielen in Tokio ritt. Da auch ihr Samourai für Tokio ausfiel, setzte Krajewski notgedrungen auf Amande. «Sie reitet nicht nur hervorragend», lobte Peiler, sondern könne Pferde «auch als Ausbilderin an die Weltspitze führen».

Zuvor hatte Krajewski am Montagnachmittag mit der Mannschaft eine Medaille verpasst. Im abschließenden Springen verbesserte sich das Team aber immerhin noch vom sechsten auf den vierten Platz. Eine bessere Platzierung hatten Krajewski, Sandra Auffarth aus Ganderkesee mit Viamant und Jung mit Chipmunk in der Dressur und vor allem beim Geländeritt vergeben.

Der Bundestrainer sprach nach dem Ende des Teamwettbewerbs von «Schadensbegrenzung». Melzer sagte: «Wir sind Vierter geworden, da können wir auch mit zufrieden sein. Wir sind noch ein bisschen nach vorne geritten.» Gold ging an das Trio aus Großbritannien vor Australien und Frankreich.

Für Melzer blieb der Abschied von Olympia ohne Team-Medaille. Der 70-Jährige aus Salzhausen beendet nach der Saison seine Tätigkeit als Bundestrainer und hatte sich bei den vorherigen Großveranstaltungen den Ruf als «Goldschmied» erarbeitet. Mit Melzer als Coach gab es Doppel-Gold bei den Spielen 2008 in Hongkong und 2012 in London sowie bei der Weltmeisterschaft 2014. Zuletzt in Rio hatte das Team von Melzer Olympia-Silber gewonnen und Jung dazu Einzel-Gold. «Wir haben uns natürlich im Team mehr erhofft», sagte der Coach. Aber «einen versöhnlicheren Abschluss konnte es eigentlich nicht geben für uns».

Jung geht komplett leer aus

Jung ging dieses Mal komplett leer aus, wurde am Ende Achter. Im Springen zeigte der dreimalige Olympiasieger zunächst eine fehlerlose Leistung, kassierte in der zweiten Runde im Einzel aber einen Abwurf. «Das ist sehr ärgerlich», kommentierte er. «Letztendlich bin ich natürlich enttäuscht», gab er zu. «Aber wir haben einen deutschen Sieg. Darüber können wir glücklich sein.»

Von Michael Rossmann und Kristina Puck, dpa