Lisa Brennauer hängte Franziska Brauße ganz vorsichtig das edle Stück Gold um den Hals und zupfte der jungen Kollegin noch schnell die blonden Haare zurecht.
Direkt daneben kämpften Lisa Klein und Mieke Kröger hartnäckig mit den Tränen. Da standen die Golden Girls inmitten des riesigen Ovals auf der Highspeed-Bahn von Izu und wussten gar nicht, wie ihnen geschah. «Das ist Gänsehaut, da oben zu stehen. Es ist der Wahnsinn, das müssen wir erst einmal realisieren», sagte Brennauer, nachdem der Frauen-Express bei den olympischen Bahnrad-Wettbewerben in Izu mit einer schier unglaublichen Weltrekord-Show zu Gold in der Mannschaftsverfolgung gerauscht war.
Drei Rennen, drei Weltrekorde
Drei Rennen, drei Weltrekorde – der deutsche Frauen-Vierer ließ eine alte Erfolgsgeschichte im deutschen Radsport wieder aufleben. Jahrzehntelang galt der Vierer der Männer als Synonym für deutsche Perfektion, nun herrscht Frauen-Power im Team. «Wir haben einen enormen Willen, einen super Zusammenhalt und richtig gute Laune. Das hat es uns hier einfacher gemacht», betonte Klein.
Als die Hochgeschwindigkeitsfahrt im Finale gegen Großbritannien bei schier unglaublichen 4:04,242 Minuten stoppte, war im deutschen Lager kein Halten. Dabei hatten die Britinnen über viele Jahre diese Distanz beherrscht. Nun wurden sie fast noch eingeholt vom deutschen Vierer, was einer Demütigung gleichkam. Kröger gab sogleich den Feier-Befehl an die Mannschaft: «Wir werden alles mitnehmen, was geht. Wer weiß, wie oft wir noch Olympiasiegerinnen werden.»
Vergessen wollte das Quartett aber nicht Gudrun Stock, die bei WM-Bronze vor 18 Monaten in Berlin noch anstelle von Kröger gefahren war. «Es vergeht kein Tag, an dem wir nicht an sie denken. Sie fehlt uns», sagte Brennauer. Stock musste ihren Japan-Trip wegen einer Operation absagen.
Es war der erste deutsche Olympia-Triumph im Bahn-Ausdauerbereich der Frauen seit Petra Rossner 1992 in Barcelona. Damit durften die deutschen Bahnradasse bereits das zweite Mal jubeln, nachdem Emma Hinze und Lea Sophie Friedrich am Vortag Silber im Teamsprint gewonnen hatten.
Stetige Entwicklung seit 2014
«Es hat sich extrem viel getan im Frauen-Radsport. Anfangs wurde alles ein bisschen stiefmütterlich behandelt und die Frauen wurden vor zehn Jahren noch belächelt. Das Leistungsniveau hat sich aber extrem entwickelt», erklärte Bundestrainer André Korff, der den Aufbau in den letzten acht Jahren mit vorangetrieben hat.
Gold im Vierer der Frauen, wer hätte das vor den Sommerspielen für möglich gehalten? Als die 4000-Meter-Mannschaftsverfolgung bei der WM 2014 erstmals ins Programm genommen wurde, bummelte das deutsche Team mit einer Zeit von 4:43 Minuten um das Oval. Zum Vergleich: Die Britinnen waren damals 20 Sekunden schneller, was im High-Tech-Bahnradsport Ewigkeiten sind. Schon damals war Kröger mit dabei.
Irgendwann hat es aber Klick gemacht. «Unfassbar, welche Schritte wir gemacht haben. Das muss ich erstmal verdauen», meinte Kröger mit Blick auf den mühsamen Weg an die Spitze. Schon bei der WM vor 18 Monaten hatte es in Berlin zu Bronze gereicht. Und in den Tagen vor Tokio war den Golden Girls klar, dass sogar der Weltrekord möglich ist. Das Oval aus sibirischer Kiefer samt den hohen Temperaturen war geradezu ideal für die Rekordjagd der BDR-Fahrerinnen.
Harmonie als Erfolgsrezept
«Es ist einfach eine Harmonie, das haben wir ganz gut drauf. Wenn es läuft, ist es wie auf Schienen. Man ist so im Fokus, sieht nur das Vorderrad vor sich, macht sich klein und gibt alles», beschreibt Klein den Geschwindigkeitsrausch.
Bei all der deutschen Frauen-Power in Izu können die Männer nicht mithalten. Für die Teamsprinter Timo Bichler (Kaiserslautern), Stefan Bötticher (Chemnitz) und Maximilian Levy (Cottbus) waren die Medaillenläufe wie schon in Rio außer Reichweite, am Ende blieb beim niederländischen Gold-Coup Platz fünf.
Und auch der Männer-Vierer muss weiter seit der Goldfahrt von Sydney vor 21 Jahren auf eine olympische Medaille warten. Fünf Olympiasiege und 16 Weltmeistertitel hatten deutsche Vierer in der Vergangenheit seit 1962 geholt, das gerät allmählich in Vergessenheit. 3:48,861 Minuten bedeuteten aber immerhin deutscher Rekord, was aber nicht zu den Medaillenläufen reichte. Denn die anderen Nationen eilen voraus. Italien um Superstar Filippo Ganna raste zur neuen Fabelzeit von 3:42,307 Minuten und trifft nun am Mittwoch im Finale auf Dänemark.