Dort, wo einst der berühmteste Fußballer des Landes mit seinen Freunden kickte, rennen zwei Jungen einem Lederball hinterher. Ein hohles «Klong» ertönt, als der jüngere den Ball in das eiserne Tor schlenzt.
Das Echo hallt noch zwischen den Wohnblocks nach, als die beiden auf dem grauen Belag schon wieder in Richtung des anderen Tors rennen – hin und her, hin und her. So ähnlich, wie es Zlatan Ibrahimovic einst selbst getan hat in dem Malmöer Problemviertel Rosengård, an diesem Fleckchen fast heiliger schwedischer Erde.
Nun ist Ibrahimovic – das zweifelsohne berühmteste Kind Rosengårds – mittlerweile stolze 40 Jahre alt. Viele Titel, mehr als 500 Pflichtspieltore und fast genauso viele aufsehenerregende Sprüche später schallt sein Name an diesem Nachmittag zwar nicht von dem Bolzplatz zwischen all den ockergelben Wohnkomplexen. Die beiden Jungen rufen heute die Namen Mbappé und Ronaldo, auf dem Spielplatz daneben trägt ein kleiner Junge ein argentinisches Messi-Trikot.
«Hier ist mein Herz»
Doch bis heute ist «Ibra» unzertrennlich mit dem Viertel verbunden. «Hier ist mein Herz. Hier ist meine Geschichte. Hier ist mein Spiel. Bringt es weiter», steht auf einer Plakette am Zlatan Court, wie der von ihm selbst eingeweihte Platz am Cronmans-Weg offiziell heißt.
Davor sind die riesigen Füße von Ibrahimovic in einem sternförmigen Betonabdruck verewigt – die Füße, die den Stürmer in die große, weite Fußballwelt getragen haben. Ibrahimovic wurde bei Malmö FF nur wenige Kilometer von Rosengård entfernt groß, bei Ajax Amsterdam größer und schließlich zum beidfüßigen Superstar, der mit viel Eigensinn, der Technik eines Straßenfußballers und manchmal akrobatisch in Kung-Fu-Manier Tore aus den unmöglichsten Situationen erzielte. Als Vereinsspieler gewann er Titel in fünf europäischen Ländern, zu Zeiten bei Inter Mailand galt er als bestbezahlter Kicker der Welt.
Einhergegangen ist das mit jeder Menge Testosteron. «Zlatan ist auch nur ein Mensch. Genauso wie ein Weißer Hai nur ein Fisch ist», erklärte er 2014 über sich. Es ist nur einer von unzähligen Sprüchen, die seine Karriere begleitet haben. Juventus, Inter, FC Barcelona, AC Mailand, Paris Saint-Germain, Manchester United: Ibrahimovic hat in vier der fünf großen Fußballligen für einige der größten Clubs der Welt gespielt. Nur die Bundesliga fehlt ihm in der Hinsicht.
Wie ein Jungspund in San Siro
Nach zwei Jahren für die LA Galaxy in den USA kehrte er Anfang 2020 nach San Siro zurück: Für den AC Mailand knipst er nach längeren Verletzungsproblemen seit einigen Wochen wieder wie ein Jungspund. Ärgerlich war, dass ihn eine Knieverletzung ausgerechnet nach der Rückkehr in die Nationalmannschaft kurz vor der Fußball-EM stoppte. Doch Schwedens Rekordtorschütze und zwölfmaliger Fußballer des Jahres will nicht aufhören. «Ich will zur WM nach Katar», machte er jüngst in einem Interview der Zeitung «Corriere della Sera» klar. Mit den Schweden ringt er in den Playoffs im März 2022 um das WM-Ticket.
Das Verhältnis zu seiner Heimat ist so kontrovers wie so manches um Ibrahimovic. «Ich bin kein typischer Schwede, aber ich habe Schweden auf die Landkarte gebracht», tönte er einmal. Mal warf er seinen Landsleuten zwischen den Zeilen Rassismus vor, mal platzte er vor Stolz, das blau-gelbe Nationaltrikot zu tragen. «Zuallererst ist er ein ziemlich guter Fußballspieler, der beste, den wir in Schweden gehabt haben», sagte Nationaltrainer Janne Andersson eher nüchtern, als er Ibrahimovic Ende März in die Auswahl zurückholte.
«Zlatanera» schafft es ins Wörtbuch
Das Verb «zlatanera» schaffte es ins schwedische Wörterbuch und beschreibt, wenn man etwas völlig dominiert. In Malmö bauten sie ihm eine Statue – die dann regelmäßig demoliert und beschmiert wurde, nachdem Ibrahimovic als Anteilseigner beim Stockholmer Club Hammarby eingestiegen war.
«Du kannst einen Jungen aus Rosengård herausholen, Rosengård aber nicht aus einem Jungen» – dieses Ibrahimovic-Zitat prangt in der Nähe des Zlatan Courts an einer Brücke direkt an der Bahnstation Rosengård. Tatsächlich hat es Ibrahimovic zum großen Aushängeschild des von Kriminalität geprägten Viertels geschafft, als entschlossener Junge dribbelte er sich erst durch die Supermarktregale seiner Heimat und später durch die Topligen Europas.
Eine misslungene Station war dabei die beim FC Barcelona. Vor allem mit Trainer Pep Guardiola kam der Schwede nicht klar. Glücklicher wurde Ibrahimovic, der Sohn eines gebürtigen Bosniers und einer gebürtigen Kroatin, schließlich in Italien. «Mailand hatte niemals einen König, sie haben einen GOTT», bekräftigte er in den sozialen Netzwerken. Unlängst ließ er die Hoffnung durchblicken, für den Rest seines Lebens in Mailand bleiben zu können.
Letztens ist Gott beim Papst gewesen. Breit grinsend ließ sich der Schwede mit Papst Franziskus ablichten. Ob er selbst an Gott glaube? «Nein. Ich glaube nur an mich selbst», sagte er dem «Corriere della Sera». Trotz seines ungeheuren Selbstbewusstseins ist aber auch ein Ibrahimovic nicht vor Sorgen gefeit. «Ich weiß nicht, was mich nach dem Fußball erwartet. Für dieses neue Kapitel meines Lebens bin ich noch nicht bereit», sagte er in der italienischen TV-Sendung «Che tempo che fa». Und schob hinterher: «Und davor habe ich etwas Angst.»