Großer Bahnhof für DFB-Frauen: Tausende feiern Popp & Co.

Der Anblick tausender jubelnder Fans beim euphorischen Empfang in der Heimat zauberte den immer noch enttäuschten deutschen Fußballerinnen nach der verpassten EM-Krönung doch noch ein Lächeln ins Gesicht.

«Das ist unglaublich und das, wovon wir geträumt haben. Es ist wunderschön erleben zu dürfen, dass die Menschen so begeistert sind», sagte Abwehrspielerin Giulia Gwinn bei der großen Willkommensparty auf dem Frankfurter Römer.

«Wir haben natürlich sehr gelitten», beschrieb Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg nach der Ankunft in der Heimat die Gefühle nach der 1:2-Niederlage im Endspiel gegen Gastgeber England im Londoner Fußball-Tempel Wembley. «Wir wollten eigentlich Europameister sein und nicht die Sieger der Herzen. Aber wenn die großartige Leistung dazu beigetragen hat, dass wir uns in die Herzen der deutschen Bevölkerung gespielt haben, sind wir gerne die Sieger der Herzen.» Der Jubel-Empfang rührte auch die Bundestrainerin: «Es ist Wahnsinn, dass eine Leistung über mehrere Wochen anerkannt wird und nicht nur der Sieg.»

Popp «stolz auf die Mannschaft»

Zwar wird der knapp verpasste neunte EM-Triumph noch einige Zeit nachwirken, wie Kapitänin Alexandra Popp anmerkte. Doch die DFB-Auswahl hat mit ihrem mitreißenden Fußball in den vergangenen vier Wochen enorm an Popularität hinzugewonnen. Fast 18 Millionen Menschen drückten am Sonntag vor den TV-Geräten die Daumen – eine Rekordquote für die Fußballerinnen. «Es ist toll, so viele Menschen erreicht und begeistert zu haben. Das fühlt sich einfach schön an», sagte Offensivspielerin Svenja Huth. Die Wolfsburgerin hatte Popp, die wegen einer Oberschenkelverletzung wenige Minuten vor dem Finale passen musste, als Kapitänin vertreten.

«Ich bin stolz auf die Mannschaft, welche Reise wir hinter uns haben. Ich hoffe, dass das nur der Anfang war», sagte Popp mit Blick auf den Frauenfußball in Deutschland. «Der Markt ist vorhanden, aber wir müssen ihn natürlich auch bespielen. Das ist ein großer, großer Wunsch, dass wir viele Mädchen erreichen.»

Glückwünsche und aufmunternde Worte

Von Bundeskanzler Olaf Scholz über Innenministerin Nancy Feaser bis zu DFB-Boss Bernd Neuendorf gab es trotz der unglücklichen Niederlage vor der ohrenbetäubenden EM-Rekordkulisse von 87.192 Zuschauern Glückwünsche und aufmunternde Worte. «Unsere Spielerinnen haben das ganze Land begeistert, sie sind sympathisch, authentisch und nahbar aufgetreten, sie leben echten Teamgeist vor», lobte Neuendorf. Der Verband hoffe, «dass wir viele Frauen und junge Mädchen in den Fußball ziehen werden durch dieses wunderbare Turnier.»

Scholz twitterte: «Das war ein mitreißendes Turnier und ganz Deutschland ist stolz auf dieses Team!» Trösten konnte der SPD-Politiker die Spielerinnen bei seinem Kabinenbesuch nach dem Abpfiff zwar nicht, denn Popp & Co. verließen mit verweinten oder zumindest feuchten Augen das Wembley-Stadion. Doch beim Bestreben, den Sport weiter voranzubringen und aus dieser EM etwas zu machen, hat der Verband nun auch die Politik mit im Boot.

«Wir haben uns versprochen, dass wir das jetzt forcieren wollen. Olaf Scholz hat mir versprochen, dass wir uns auch treffen werden, um die Themen für die Zukunft anzugehen», sagte Voss-Tecklenburg und blickte noch einmal auf die so emotionale EM zurück: «Es war gefühlt ein Rausch.» Die 54-Jährige wünscht sich nun, dass die «Werte, die wir vorgelebt haben», von den Menschen in die Gesellschaft getragen werden. «Dann werden wir ein Stück weit besser», sagte Voss-Tecklenburg.

Chatzialexiou: «Es muss etwas passieren»

Joti Chatzialexiou, Leiter Nationalmannschaften beim DFB, weiß, dass nun genau hingeschaut wird, ob und wie der Verband die Steilvorlage aus der EM verwandeln wird. Strategiepläne, um den Frauenfußball zu fördern, lagen schon vor der EM vor. «Es muss etwas passieren, definitiv. Da sind nicht nur der Bundeskanzler und die Politik. Sondern da müssen auch wir als Verband und die Vereine zusammenstehen und tatsächlich diesen Hype, den wir erzeugt haben, umsetzen», sagte er.

Steffi Jones fordert dafür konkrete Pläne. «Das ist nichts, was man aus der kalten Hose während eines Turniers planen sollte», sagte die frühere Nationalspielerin und -trainerin der «FAZ». Sie kritisierte: «Die Führungsebene sonnt sich jetzt im Erfolg des Teams. Dabei wünsche ich mir, dass der DFB schon vor dem Turnier Pläne für die Zeit danach gemacht hätte.»

DFB-Frauen haben «Herausragendes geleistet»

Sportlich stehen die DFB-Frauen jedenfalls wieder auf der großen Bühne, nachdem durch das Viertelfinal-Aus bei der WM 2019 auch die Olympischen Spiele in Tokio verpasst wurden. Voss-Tecklenburg hofft, «dass alle weitermachen. Wir werden die jungen Spielerinnen weiter forcieren. Dann fahren wir nächstes Jahr hoffentlich zur WM und wollen dort so auftreten, wie wir hier aufgetreten sind: als eine Mannschaft, die begeistert, die mutig spielt, die Ideen hat, die einen klaren Auftrag hat, die eine große Leidenschaft hat.»

Die Chance, dauerhaft in der Öffentlichkeit präsent zu bleiben, ist groß – vor allem wenn die Bundesliga aus ihrem Dornröschenschlaf geweckt werden kann. «Unsere Nationalmannschaft hat Herausragendes geleistet. Man muss jetzt abwarten, ob wir beim Interesse mittelfristig über die Eventisierung hinauskommen», sagte DFL-Aufsichtsratschef Hans-Joachim Watzke dem «Kicker» (Montag). Sollte die Bundesliga beim Zuschauerzuspruch von der EM profitieren, wäre «der entscheidende Schritt» getan, so Watzke: «Turniere sind schön und wichtig, doch sie sollten im Optimalfall auf den sportlichen Alltag abstrahlen.»

Das Zugpferd bleibt vorerst die DFB-Auswahl. 2023 gibt es die WM, für die sich Deutschland im September noch endgültig qualifizieren muss, 2024 die Olympischen Spiele in Paris, 2025 wieder eine EM (Ausrichter noch nicht entschieden) – und 2027 möglicherweise eine WM im eigenen Land. Der DFB hat sich gemeinsam mit Belgien und den Niederlanden beworben. Kein Wunder, dass Huth zum Abschied den Wunsch äußerte: «Ich hoffe, dass wir mit dem Großteil der Mannschaft zusammenbleiben können und dass das nur der Anfang von etwas ganz Großem war.»

Von Ulrike John und Eric Dobias, dpa