Patrick Hausding schaute immer wieder ergriffen zu der von ihm getragenen Deutschland-Fahne hoch.
Stolz führte der 32-Jährige gemeinsam mit Beachvolleyballerin Laura Ludwig die deutsche Olympia-Mannschaft bei der Eröffnungsfeier der Sommerspiele an, hinter den beiden zückten die Teamkollegen im schwül-warmen Tokio die Smartphones für zahlreiche Fotos und Videos.
Als Fahnenträger der deutschen Mannschaft stimmte sich Europas Wassersprung-König perfekt auf seine vierten und letzten Olympischen Spiele ein. «Auf die Wettkämpfe hat das natürlich keinen Einfluss, aber man nimmt ein schönes Gefühl mit», sagte Hausding und hob den besonderen Stellenwert der Ehre vom Freitag hervor. «Ich kann Medaillen gewinnen, so viel ich will, aber Fahnenträger kann man in seinem Leben nur einmal werden.»
Medaillen nahm der Rekordeuropameister bereits zwei von Olympischen Spielen mit, im Tokyo Aquatics Centre würde der angehende Lehrer so gerne noch eine dritte gewinnen. In Peking 2008 sprang er noch als Schüler an der Seite von Sascha Klein mit Silber im Synchronspringen vom Turm in die Weltspitze. Nach der Enttäuschung in London 2012 jubelte Hausding in Rio 2016 über Bronze im Kunstspringen vom Drei-Meter-Brett. Es war die erste deutsche Medaille in dieser Disziplin nach 104 Jahren.
«Sehr viele bleibende Momente»
«Er hat das Wasserspringen international mitbestimmt. Mit seiner Vielseitigkeit von Turm und Brett hat er die Sportart die letzten zehn Jahre mitgeprägt», rühmte Bundestrainer Lutz Buschkow seinen seit über einem Jahrzehnt wichtigsten Athleten. Mit etwas Wehmut.
17 EM-Titel, einmal Gold und insgesamt vier Medaillen bei Weltmeisterschaften – Hausding war fast immer da, wenn er liefern musste. «Es war ein Auf und Ab, aber es ist mir oft genug geglückt, dass es sehr viele bleibende Momente gibt», blickte er im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur auf eine große Karriere zurück.
Bilder prägender Augenblicke bewegten ihn auch beim Tokio-Countdown. «In der Vorbereitung haben mich in ruhigen Momenten auch die Erinnerungen überrumpelt, dann kamen viele Erfahrungen hoch. Wenn man mir da einen Pulsmesser angelegt hätte, hätte man gesehen, dass ich selbst in Ruhe auf der Couch einen 120er Puls hatte», erzählte der Berliner. «Das wird auch beim Wettkampf so sein. Es geht um Olympia – und dann ist es egal, dass ich schon dreimal dabei war. Aufregung und Leistungsdruck beginnen immer wieder von vorne.»
Katze, Kampfsau und Kampfschwein
Nervenstärke ist eine herausragende Eigenschaft Hausdings. Dazu kommt ein beeindruckendes Sprunggefühl, über das Buschkow einmal einen treffenden Vergleich anstellte. Patrick sei wie «eine Katze, die man aus dem Fenster wirft», und lande trotzdem gut, hatte Buschkow es beschrieben – und damit nicht nur einmal für ein Schmunzeln beim Routinier gesorgt.
«Wenn man jahrelang durch die Luft fliegt, entwickelt man ein Gefühl dafür, wie man sich in der Luft verhalten muss, um gut zu landen. Insofern haut das hin», sagte Hausding. «Irgendwie werde ich immer mit Tieren verglichen. Es hieß auch mal Kampfsau oder Kampfschwein. Mal schauen, welchen Tiervergleich es nach diesen Spielen gibt.»
Hausding überzeugte immer wieder mit beachtlichen Comeback-Qualitäten, zuletzt bei den deutschen Meisterschaften. Nachdem es wegen eines missglückten Sprungs im Synchronspringen vom Drei-Meter-Brett einen Schreckmoment im Kampf um das Olympia-Ticket gab, schlug er am Tag danach im Einzel-Wettbewerb mit Karrierebestwert zurück. «Ziemlich spät, aber man kann sich auch im Alter immer noch verbessern», frohlockte Hausding. Im Einzel und mit Lars Rüdiger im Synchronspringen zählt er bei den Wettbewerben von Sonntag an zum großen Kreis der Medaillenkandidaten.
Weit über 200.000 Sprünge hat er in seiner Karriere absolviert, weit über eine Million Meter hat er sich durch die Lüfte gedreht und geschraubt. Ob nach Olympia Schluss ist, weiß Hausding noch nicht.
«Ich werde mir überlegen, wie es weitergeht, ob eine weitere Saison und die WM noch Sinn machen. Aber es werden auf jeden Fall die letzten Spiele sein», bekräftigte er seinen Laufbahnplan. Wasserspringen ohne Hausding – das ist selbst für langjährige Wegbegleiter kaum vorstellbar. «Es wird, glaube ich, für viele komisch sein, wenn man ihn nicht mehr in Action sieht», sagte sein einstiger Partner Sascha Klein.