Heim-EM als Chance zur Revanche: Beginn mit einem Schreck

Die Chance zur Revanche begann mit betretenen Mienen. Während die anderen Springreiter ihre Pferde in Riesenbeck beim Vet-Check den Tierärzten präsentierten, kam Maurice Tebbel zu Fuß und muss nun zittern.

Sein Pferd Don Diarado lahmte in Riesenbeck: Dem jüngsten und zugleich erfahrensten Reiter im Quartett droht bei der Heim-Europameisterschaft das Aus. «Die Chancen sind minimal», sagte Tebbel. 

«Wahrscheinlich ist es ein Hufgeschwür», sagte Bundestrainer Otto Becker. «Wir müssen aber abwarten.» Der Hengst soll noch einmal eingehend untersucht werden und kann im Idealfall die Verfassungsprüfung nachholen. Ersatzpaar für den Reiter aus Emsbüren und seinen Hengst sind Marcus Ehning aus Borken und Stargold.

Tierarzt und Familie Tebbel entscheiden

Ob Don Diarado eingesetzt werden kann, entscheidet sich spätestens kurz vor dem vor dem Zeitspringen am Mittwoch um 11.00 Uhr. «Wir werden zusammen mit unserem Team-Tierarzt Jan Hein Swagemakers und der Familie Tebbel entscheiden, wenn wir mehr wissen», sagte der Coach. Wichtig sei, dass die Entscheidung im «Sinne des Pferdes getroffen wird.» Sicher dabei sind André Thieme (Plau am See) mit Chakaria, David Will (Marburg) mit C-Vier und Christian Kukuk (Riesenbeck) mit Mumbai.

«Wir müssen abwarten und ein bisschen kühlen», sagte Tebbel, der die Frage nach seinen ersten Gedanken mit einem Wort zusammenfasste: «Scheiße!» Er muss nun hoffen, dass es am Mittwochmorgen besser ist. «Er muss hundert Prozent fit sein», sagte Tebbel. «Mit weniger macht es keinen Sinn.»

Profiteur wäre Ehning. «Natürlich will ich reiten», sagte der dreimalige Weltcupsieger: «Aber so wäre es nicht schön.» Der Routinier aus Borken fügte an: «Ich drücke Maurice auf jeden Fall die Daumen.»    

Der sehr wahrscheinliche Ausfall wäre ein Rückschlag beim Versuch, sich im idyllischen Tecklenburger Land nach dem Olympia-Debakel zu rehabilitieren. Der Frust ist noch immer zu spüren und herauszuhören, wenn von Tokio die Rede ist, wo es den vorletzten Platz im Finale des Teamwettbewerbs gab. «Wir haben Lehrgeld gezahlt», gab der Bundestrainer vier Wochen nach dem Desaster im Baji Koen Equestrian Park zu. «Wir haben Lehrgeld gezahlt.» Die erhoffte olympische Medaille verpasste sein Team nach Bronze in Rio ziemlich deutlich.

Nationalmannschaft vor Umbruch

Der Vergleich zum Rio-Team mit «fünf gestandenen Weltklasse-Reitern», wie Becker es nennt, zeigt die Veränderungen. Vor allem, weil jahrelange Leistungsträger nicht mehr dabei sind: Meredith Michaels-Beerbaum hat ihre Karriere beendet, und ihr Schwager Ludger Beerbaum reitet nicht mehr in der Nationalmannschaft und ist nun auf seiner Anlage am Rande des Teutoburger Waldes Gastgeber und Organisator. «Es ist wieder ein kleiner Umbruch», sagt Becker.

Sein Team für Riesenbeck besteht aus drei EM-Neulingen sowie Tebbel oder Ehning, dessen Stargold im Gegensatz zum Reiter noch unerfahren ist. Der Weltranglisten-Erste Daniel Deußer hatte nach der Olympia-Enttäuschung mit Platz 18 im Einzel überraschend auf einen EM-Start verzichtet.

Der Bundestrainer setzt vor allem darauf, dass seine Tokio-Reiter bei der Olympia-Teilnahme viel gelernt haben und die Erfahrungen umsetzen. Thieme gab zu: «Ich habe die ganze Sache etwas unterschätzt. Ich habe gedacht, dass es reicht, ein so großartiges Pferd wie Chakaria dabei zu haben.»

Von Michael Rossmann und Claas Hennig, dpa