«Heuchler» Vettel: Vom Weltmeister zum Weltverbesserer

Als Sebastian Vettel seinen bislang einzigen Sieg in Barcelona holte, war nicht nur die Formel 1 eine ganz andere. Auch der Hesse selbst hatte 2011 auf dem Weg zu seinem zweiten WM-Titel ganz andere Themen im Kopf als Nachhaltigkeit und Umweltschutz.

«Ich mache mir Sorgen um die Zukunft. Die Fragen um Energie und die Abhängigkeit von Energie beschäftigen mich», sagte der 34-Jährige zuletzt in einer bemerkenswerten Talkrunde beim britischen Sender BBC. Man könne ihn auch als Heuchler bezeichnen, weil er als Rennfahrer trotzdem Benzin verschwende, antwortete der Heppenheimer in der Vorwoche auf eine entsprechende Frage: «Da haben sie Recht. Ich bin kein Heiliger.»

Viermaliger Champion tritt als Mahner auf

Vettel tritt längst als Mahner einer Szene auf, die es gewohnt war, im Überfluss zu leben. Er selbst sieht sich dabei nicht mehr nur als Sportler, versucht stattdessen auch für folgende Generationen ein gutes Vorbild zu sein. «Wenn ich aus dem Auto aussteige, denke ich natürlich auch: Ist das etwas, was wir machen sollten – um die Welt reisen und Ressourcen verschwenden?», sagte der viermalige Champion vor dem Großen Preis von Spanien am Sonntag (15.00 Uhr/Sky) in Katalonien und ergänzte: «Ich frage mich: Muss ich jedes Mal ein Flugzeug nehmen. Nicht, wenn ich mit dem Auto fahren kann.»

Vettel reist auch mit dem Zug durch Europa, engagiert sich bei einem Projekt für Lebensraum für Bienen, besucht soziale Projekte oder greift schon mal zu, wenn es darum geht, den vielen Müll von den Tribünen an der Strecke zu entfernen. Der Ex-Champion macht das, wie er selbst sagt, nicht für schöne Bilder, sondern mahnt: «Wir müssen uns alle engagieren und aktivieren. Das Leben ist so lebenswert, und wir sollten alles dafür geben, dass es auch so bleibt.»

Für die Rolle des Weltverbesserers gibt es auf der einen Seite Lob, auf der anderen aber auch Häme und Kritik. Am 53-maligen Grand-Prix-Sieger prallen die negativen Kommentare aber ab. Vettel sagt zu allen Themen offen seine Meinung und wird dabei auch schon mal zum Clown. So wie zuletzt in den USA, als er seine Unterhose über dem Rennanzug trug, um so auf ein aus seiner Sicht unsinniges Verbot von privater Unterwäsche hinterm Lenkrad hinzuweisen.

Sportliche Realität ernüchternd

An seinem Arbeitsplatz hat er im zweiten Jahr bei Aston Martin derzeit eher wenig Spaß. Nach sechs enttäuschenden Saisons bei Ferrari wollte der Altmeister an seine glorreichen Zeiten bei Red Bull anknüpfen, als er von 2010 bis 2013 viermal nacheinander das Maß der Dinge war. Die Realität ist eine andere.

Mit dem neuen Reglement kommen die Engländer nicht klar, sind von einem guten Mittelfeldteam zum Hinterbänkler geworden. Punkte zu holen, ist im störrischen Auto schwer. Vettel schaffte das im Regen von Imola in dieser Saison erst einmal. Der achte Platz war seinem fahrerischen Können zu verdanken. Es war nach einer Corona-Infektion und zwei deswegen verpassten WM-Läufen der einzige kleine Lichtblick in trüben Monaten.

Ob bald alles besser wird? Zum sechsten Saisonlauf nach Barcelona bringen viele Rennställe technische Verbesserungen mit, so auch Aston Martin. Fraglich ist, ob Vettel davon profitiert. Aus dem Fahrerlager war zu hören, dass aufgrund von Lieferengpässen nur neue Teile für eines der beiden Autos vorhanden sein könnten. Diese dürfte eher der Kanadier Lance Stroll, Sohn von Teambesitzer Lawrence Stroll, im zweiten grünen Renner bekommen. Vettel wäre einmal mehr im Nachteil.

Vettel schließt Experten-Tätigkeit aus

Wie es generell mit ihm weitergeht, ist offen. Vettels Vertrag endet nach der Saison. «Es wird davon abhängen, wie dieses Jahr läuft. Dann sehen wir weiter», sagte er. Natürlich sei er nicht zufrieden damit, wo er und sein Rennstall stünden. «Wir wären dumm, wenn wir nicht versuchen würden, ihn zu halten», sagte Teamchef Mike Krack: «Wir müssen ihm aber die Werkzeuge geben, damit er Leistung zeigen kann.»

Noch sei es zu früh, das Jahr abzuschreiben, sagte Vettel, der weiter um gute Resultate kämpft. Wenn er zurückblicke, denke er schon jetzt aber an «wunderbare 15 Jahre» in der Formel 1. Er habe das geschafft, wovon alle träumten: Rennen gewonnen, Titel geholt. Aber: «Die Reise wird eines Tages enden.» Und wenn das so ist, wird man ihn kaum noch im Fahrerlager sehen. Den Weg vieler Ex-Piloten zum TV-Experten wird er ganz sicher nicht gehen: «Ich werde nie auf der anderen Seite sitzen und den Fahrern Fragen stellen. Das ist nicht meine Stärke.»

Von Thomas Wolfer, dpa