Die deutschen Schwimmer um Weltmeister Florian Wellbrock kommen nach zwei deprimierenden Olympia-Nullnummern wieder in Medaillennähe.
Nach 13 Jahren ohne Sommerspiel-Ehren im Becken fehlten Überraschungsmann Henning Mühlleitner auf einer Weltrekordstrecke von Paul Biedermann nur 13 Hundertstelsekunden zum großen Bronze-Glück in Tokio. «Ich habe angeschlagen und wusste, es war alles, was ich hätte geben können. Das ist für mich die größte Genugtuung», sagte der zufriedene Mühlleitner nach dem starken Auftritt über 400 Meter Freistil. «Den kleinen Wermutstropfen vierter Platz – den muss ich, glaube ich, so hinnehmen.»
Neben der eigenen Leistung freute sich der 24-Jährige auch über wohlwollende Worte von Biedermann, der sich für das Rennen extra den Wecker gestellt hatte. «Er ist für mich immer noch ein Vorbild und als Mensch einfach super», sagte Mühlleitner. Über dieselbe Distanz schaffte es die 19-jährige Isabel Gose in deutscher Rekordzeit von 4:03,21 Minuten in den Endlauf in der Nacht zum Montag.
Als überraschender Vorlaufsieger vom Samstag hatte Mühlleitner Hoffnung auf ein Ende der Medaillenmisere geweckt. Nach dem Auftakt-Wochenende in Tokio, an dem die Synchronspringerinnen Tina Punzel und Lena Hentschel mit Bronze vom Drei-Meter-Brett den Glanzpunkt aus Sicht des Deutschen Schwimm-Verbandes setzten, wollen nun Wellbrock und Vize-Weltmeisterin Sarah Köhler die Becken-Tristesse endgültig beenden.
Für die deutschen Schwimmer ist noch mehr drin
Am Montag und Dienstag sind die beiden miteinander verlobten Asse erstmals am Start. Sie gehören zur selben Trainingsgruppe wie Gose und dem trotz Bestzeit ausgeschiedenen Lukas Märtens – aber deren Auftritte lassen erahnen, dass auch Wellbrock und die von Gose als deutsche Rekordhalterin über 400 Meter Freistil abgelöste Köhler außergewöhnlich schnell sein könnten. «Florian und Sarah machen auf mich einen guten Eindruck, aber das würde ich von jedem im Team behaupten», sagte Mühlleitner. Er habe die Mannschaft «gut beflügelt», befand der Sportler aus Neckarsulm und ergänzte für die kommenden Rennen: «Ich hoffe, wir heizen nochmal richtig an.»
Das wünscht sich auch Biedermann, der in Rio mit der Staffel und im Einzelrennen ebenso wie Lagenschwimmer Philip Heintz sechste Plätze als Bestplatzierung beisteuerte. «Starkes Rennen von Henning Mühlleitner, der genau sein Rennen durchgezogen hat», lobte Biedermann. «Sehr schade um diesen knappen vierten Platz.»
Schon jetzt verbucht der DSV einen besseren Platz als 2016, wenngleich in der öffentlichen Wahrnehmung die Medaillenrechnung gilt. Und dort stehen die zwei Goldmedaillen von Britta Steffen 2008 als letztes Edelmetall mit Ringe-Emblem in der Bilanz. Ins Halbfinale schafften es am Sonntag Anna Elendt als 16. über 100 Meter Brust und Marek Ulrich als 14. über 100 Meter Rücken. Dagegen schieden Laura Riedemann und Ole Braunschweig über 100 Meter Rücken, Jacob Heidtmann und Märtens über 200 Meter Freistil, Leonie Kullmann über 400 Meter Freistil und die Männer-Staffel über 4 x 100 Meter Freistil aus.
Am Auftakt-Wochenende mit Gänsehautmomenten durch reichlich Freudentränen der Japanerin Yui Ohashi nach dem Triumph über 400 Meter Lagen und dem Weltrekord der siegreichen australischen Freistil-Frauen über 4 x 100 Meter dokumentierte Mühlleitner aber, dass nach den Olympia-Nullnummern von London 2012 und Rio 2016 vielleicht sogar für Außenseiter etwas drin sein könnte.
Mühlleitner auch ohne Medaille «maximal» zufrieden
Mühlleitners Eltern in der Heimat dürften auch ohne Medaille stolz auf ihren Jungen gewesen sein, der eine nette Anekdote preisgab. Es gebe keine Chance, dass sich die Mutter wegen großer Aufregung seine Rennen anschauen könne, sagte Mühlleitner in der ARD. «Sie läuft so weit es geht weg vom Haus in den Garten und läuft da hoch und runter – wahrscheinlich läuft sie mehr, als ich in der Zeit schwimme.»
Bis zum Vorlaufsieg in 3:43,67 Minuten war der EM-Dritte von 2018 sicher nicht der großen Sportöffentlichkeit bekannt. Wie auch der 18-jährige Ahmed Hafnaoui nicht, der sich in 3:43,36 Minuten zum Olympiasieger krönte. Die Freudenschreie des Tunesiers waren ebenso imposant wie die Jubeleinlage seines Trainers, der auf der Tribüne ausflippte.
Auch Mühlleitner war «maximal» zufrieden. «Jetzt ist es natürlich die Blechmedaille oder Holzmedaille oder wie auch immer man es nennen mag, aber das stört mich relativ wenig», sagte er schon kurz nach dem Rennen mit einem Lächeln. Dass er in Tokio starten konnte, verdankt er auch dem Verzicht von Wellbrock. Der aussichtsreichste deutsche Medaillenkandidat konzentriert sich auf die ganz langen Distanzen und hatte auf seinen Startplatz zugunsten seines Kumpels Mühlleitner verzichtet. Zahlt sich das für Wellbrock auf den langen Strecken aus?