Mats Hummels beißt sich durch. Und sein persönliches Jubiläum gegen Ungarn soll nur eine Zwischenstation sein.
Der kleine Tapeverband an seinem linken Knie war am Tag vor dem EM-Gruppenabschluss am Mittwoch in München der einzige Hinweis darauf, dass der Nationalmannschafts-Rückkehrer mit einem Handicap durch sein fünftes großes Turnier geht. Die Kniegeschichte beschäftigt ihn schon seit Monaten, «mal mehr und mal weniger», hatte der Routinier schon vor dem Europameisterschaftsstart berichtet.
Patellasehne schmerzt
Dass Hummels zuletzt beim 4:2 gegen Portugal nach 62 Minuten vom Feld musste, da die Schmerzen wegen der Patellasehnen-Reizung zu groß geworden waren, beunruhigt ihn vor seinem 75. Länderspiel offenbar nicht besonders. Locker jonglierte er am Dienstag im EM-Basiscamp in Herzogenaurach den Ball zusammen mit Serge Gnabry.
Kurz nach dem Training kam dann offiziell die Einsatzbestätigung. «Bei mir persönlich ist es auch wieder gut, ich kann spielen. Ich werde diese Pausen immer mal wieder einlegen müssen, weil ich die Knieprobleme mit mir rumtrage. Das ist nichts, was mich aus den Spielen ganz raushält. Das erfordert nur ein bisschen mehr Regeneration», sagte Hummels bei Magenta TV.
Hummels Credo: «Es geht beim Turnier darum, Widerstände zu überwinden, dass man nicht klein bei gibt, nicht passiv wird.» Dass dies so schnell vor allem auf ihn ganz persönlich zutrifft, ist eine der Besonderheiten dieser paneuropäischen EM. Schon die Entscheidung des Bundestrainers, von vielen Kritikern zunächst als «Rolle rückwärts» bewertet, Hummels und dessen Kumpel Thomas Müller nach zweieinhalb Jahren Verbannung ins DFB-Team zurückzuholen, gehörte in die Kategorie Unvorhersehbares.
Dass der Rückkehrer dann bei seinem Pflichtspiel-Comeback gegen Frankreich (0:1) ins eigene Tor traf und den EM-Start entschied, gab dem Ganzen neue Brisanz. Hummels steckt den Eigentor-Schock und auch die Knieschmerzen weg. Wie erhofft stabilisiert der 32-Jährige das Defensiv-Gefüge in der Nationalmannschaft, ohne alle Defizite sofort beseitigen zu können.
Aber er strahlt Ruhe aus und hat seine ersten Ziele erreicht: Sich «in bestmögliche Verfassung zu bringen» sowie sich «sportlich und als Typ voll einzubringen» und mit «das Kommando zu übernehmen». Das Ganze passierte geräuschlos. Wie von ihm angekündigt wurde nicht die ganze Hierarchie im Team auf den Kopf gestellt. «Hierarchien», so urteilt Hummels, seien ohnehin «eher ein Thema von außen».
«Ich will den Titel holen»
Ob tatsächlich die höher gesteckten Ziele von Joachim Löw und Hummels selbst erreicht werden, muss der weitere Turnierverlauf zeigen. Anders als der Bundestrainer hat der Abwehrchef deutlich erklärt: «Ich will den Titel holen.» Zudem hat Hummels nun die Chance, dass seine Nationalmannschaftskarriere nicht mit so einem katastrophalen Ergebnis wie dem Vorrunden-Aus bei der WM 2018 zu Ende geht.
Löw und Hummels haben sich gegenseitig bescheinigt, dass sie noch einmal besonders «brennen». Seit 2010 arbeiten beide zusammen. Die EM 2012 war ihr erstes gemeinsames Turnier. Der WM-Sieg 2014 war ihr schönester Moment. Im März 2019 folgte Löws heiß diskutierter Entschluss, den erfahrenen Innenverteidiger ebenso wie die beiden Weltmeister-Kollegen Müller und Jérôme Boateng nicht mehr zu berücksichtigen. Das, so Hummels, habe er dem Bundestrainer nie als Boshaftigkeit ausgelegt. Aber es habe ihn emotional sehr beschäftigt und neu angestachelt. Jetzt soll sozusagen das Happy-End folgen.
Denn Löw beendet nach der EM die 15 Jahre andauernde Ära als Bundestrainer. Hummels hat sein Engagement in diesem Sommer erst einmal als Kurzzeitprojekt eingestuft. Für die Zeit danach habe es noch keine Gespräche oder Kontakte gegeben, verriet der Dortmunder. Hummels hofft zunächst vor allem darauf, dass seine Frau Cathy und sein Sohn Ludwig noch einige EM-Siege mit ihm als Nationalspieler bejubeln können.