Nachdem er sich zum König von Wimbledon gekrönt hatte, ließ sich Carlos Alcaraz auf den heiligen Rasen fallen. Danach nahm er die Glückwünsche von Novak Djokovic entgegen, ehe er völlig enthemmt einen Tennisball mit dem Fuß ins Publikum schoss und auf der Tribüne seinem Coach Juan Carlos Ferrero um den Hals fiel.
In einem epischen und hochklassigen Finale setzte sich Alcaraz in London gegen Djokovic mit 1:6, 7:6 (8:6), 6:1, 3:6, 6:4 durch und gewann erstmals den Rasen-Klassiker in Wimbledon. Damit verhinderte er den achten Triumph des Serben in Wimbledon. Mit seinem Triumph verteidigte Alcaraz auch Platz eins in der Weltrangliste.
Djokovic hätte mit einem Sieg in London zu Rekordsieger Roger Federer aufgeschlossen. Zudem hätte er mit seinem 24. Erfolg bei einem der vier Grand-Slam-Turniere die Bestmarke der Australierin Margaret Court eingestellt. Doch daraus wurde nichts. Alcaraz verwandelte nach 4:42 Stunden seinen ersten Matchball und krönte sich zum König von Wimbledon. Er nahm damit auch Revanche für seine Halbfinale-Niederlage bei den French Open.
«Ich hoffe, Sie kommen öfter»
«Ein Traum wird wahr für mich», sagte ein überwältigter Alcaraz, nachdem er aus den Händen von Prinzessin Kate den Challenge Cup entgegengenommen hatte. «Ich bin wirklich sehr stolz auf mich und auf mein Team und all die harte Arbeit, die wir investieren, um diese Momente zu erleben», sagte Alcaraz. Auf der Tribüne applaudierte der spanische König Felipe VI. «Ich habe zweimal vor Ihnen gespielt. Beide Male habe ich gewonnen. Ich hoffe, Sie kommen öfter», sagte Alcaraz und sorgte für Lacher bei den Zuschauern.
Der 20-Jährige will Djokovic in Zukunft weiter herausfordern. Auf die Frage, ob er sich jetzt als der große Rivale des Serben sehe, sagte Alcaraz bei «ESPN»: «Das hoffe ich. Ich denke, ich habe gezeigt, dass ich mich mit ihm auf den größten Bühnen in epischen Matches messen kann. Ich bin bereit, weiterzumachen und der große Rivale von Novak zu sein.»
Djokovic zeigte sich als fairer Verlierer. «Ich habe heute gegen einen besseren Spieler verloren», sagte der Serbe. «Wahnsinn, was für eine Qualität du am Ende des Matches gezeigt hast. Du verdienst diesen Sieg absolut», sagte Djokovic. Als er seinen Sohn auf der Tribüne sah, kamen dem Serben die Tränen. «Ich liebe dich und gebe dir nachher eine dicke Umarmung.»
Siegesserie gerissen
Für Djokovic war es die erste Niederlage in Wimbledon nach zuvor 34 Siegen in Serie. Der 36 Jahre alte Serbe hatte den Rasen-Klassiker zuletzt viermal nacheinander gewonnen. Vor der Niederlage gegen Alcaraz hatte Djokovic letztmals 2017 im Viertelfinale in London verloren, als er gegen den Tschechen Tomas Berdych zu Beginn des zweiten Satzes verletzt hatte aufgeben müssen.
Bei den Damen hatte am Samstag überraschend Marketa Vondrousova den Titel gewonnen. Die 24 Jahre alte Tschechin siegte im Endspiel gegen die Tunesierin Ons Jabeur mit 6:4, 6:4 und gewann nach Angaben der Veranstalter als erste ungesetzte Spielerin den Wimbledon-Titel. Für Vondrousova war es der erste Sieg bei einem Grand-Slam-Turnier. Jabeur (28) verlor dagegen wie im Vorjahr im Finale und weinte danach bittere Tränen.
Ein Finale den Erwartungen gerecht
Auf das Duell Djokovic gegen Alcaraz hatten in Wimbledon alle zwei Wochen lang gewartet. Und es hielt, was es versprach. Schon das erste Aufschlagspiel von Djokovic dauerte sieben Minuten. Doch danach wirkte Alcaraz zunächst etwas verloren auf dem prestigeträchtigsten Tennisplatz der Welt. Djokovic holte sich nach nur 34 Minuten den ersten Satz.
Alcaraz saß danach auf seinem Stuhl und schaute sich ungläubig um. So hatte er sich sein erstes Finale auf dem heiligen Rasen nicht vorgestellt. Doch Alcaraz schüttelte sich und steigerte sich nun. So entwickelte sich endlich das Match, auf das alle hingefiebert hatten. Jetzt erfüllte das Duell der Generationen die Erwartungen.
Djokovic versuchte alles, doch Alcaraz ließ sich nun nicht mehr abschütteln. Im Gegenteil. Am Ende des zweiten Satzes passierte etwas, was kaum noch jemand für möglich gehalten hätte: Djokovic verlor bei einem Grand-Slam-Turnier einen Tiebreak. Zuvor hatte er in Melbourne, Paris und Wimbledon 15 Tiebreaks in Serie für sich entschieden und damit seine unnachahmliche Nervenstärke bewiesen.
Doch dieses Mal wehrte Alcaraz einen Satzball ab und entschied den Tiebreak mit 8:6 für sich. Nach 1:59 Stunden Spielzeit schaffte er mit einem traumhaften Return-Winner den Satzausgleich. Der Jubel auf dem Centre Court war so groß, als hätte England gerade erstmals seit 1966 wieder die Fußball-WM gewonnen.
Aufschlagspiel über 26 Minuten
Nun spielte Alcaraz wie im Rausch. Hatten ihn im Halbfinale der French Open ab dem dritten Satz noch Krämpfe geplagt, war er jetzt voll da. Dem Weltranglisten-Ersten gelang ein schnelles Break. Und dann kam das fünfte Spiel im dritten Satz. Allein dieses Aufschlagspiel von Djokovic dauerte 26 Minuten – so lange wie oft ein ganzer Satz auf Rasen. 13 Mal ging es über Einstand, ehe Alcaraz seinen siebten Breakball nutzte und auf 4:1 davonzog. Wenig später ging er mit 2:1-Sätzen in Führung.
Djokovic verließ den Court für eine Toilettenpause und um sich zu sammeln. Und in der Tat kämpfte sich der Serbe wieder zurück in die Partie. Zum 3:2 gelang ihm das Break, zum 6:3 ein weiteres. Die Entscheidung musste also im fünften Satz fallen.
Und auch dort schenkten sich die beiden Tennis-Titanen nichts. Nahezu jeder Punkt war hart umkämpft, ein spektakulärer Ballwechsel reihte sich an den nächsten. Es war eine Tennis-Sternstunde, die Alcaraz und Djokovic den rund 15 000 Zuschauern auf dem ausverkauften Centre Court boten. Zum 2:1 gelang Alcaraz das entscheidende Break im fünften Satz, Djokovic hämmerte daraufhin vor Frust seinen Schläger gegen den Netzpfosten und kassierte eine Verwarnung. Doch es half alles nichts. An diesem Tag war Alcaraz selbst für Djokovic einfach zu stark.