Übermannt von Krämpfen und Schmerzen paddelte Slalomkanute Hannes Aigner zu Olympia-Bronze. Der 32-jährige Augsburger zeigte im fast 30 Grad warmen Wildwasserkanal eine wahre Energieleistung.
«Ich hatte echt große Sorgen, ob ich es überhaupt ins Ziel schaffe. Meine Arme haben sich teilweise selbstständig gemacht. Durch diese Zuckungen ist mir ein großer Fahrfehler im oberen Teil passiert», sagte der Weltmeister von 2018. Eine Stabberührung konnte er zum Glück vermeiden, war aber «im Ziel ganz schön enttäuscht». Fassungslos blickte er dann auf den Fernseher und zitterte sich zu Bronze. «Da hat sich das Kämpfen bis zum Schluss gelohnt», sagte er glücklich und gab zu: «Ich war fix und fertig, die Krämpfe waren sehr unangenehm.»
In dieser Saison hatte er alle Finals verpasst. Plötzlich legte er im Vorlauf Bestzeit hin und paddelte fehlerfrei ins Finale. Dort musste sich der Olympia-Dritte von London 2012 mit einem fehlerfreien Lauf nur dem neuen Olympiasieger Jiri Prskavec aus Tschechien und Jakub Grigar aus der Slowakei geschlagen geben.
DKV: Vierte Medaille im vierten Wettbewerb
Mit Bronze sorgte der 32-jährige Aigner für das beste deutsche Abschneiden seit 49 Jahren. «Das ist schon unglaublich, was da gerade passiert ist. Ich kann das noch nicht so ganz begreifen», sagte Cheftrainer Klaus Pohlen: «Es ist zu 100 Prozent gut gelaufen. Das war tolle Teamarbeit, was wir hier hingelegt haben. Wir haben uns hohe Ziele gesetzt, aber wir wussten, dass wir gut vorbereitet sind.»
Für den Deutschen Kanu-Verband (DKV) gehen damit in Japan historische Tage zu Ende. Nach dem Gold von Ricarda Funk sowie den Bronzemedaillen von Sideris Tasiadis und Andrea Herzog war Bronze von Aigner die vierte Medaille im vierten Wettbewerb. So eine olympische Erfolgsbilanz hatten die Slalomkanuten seit München 1972 – als die DDR-Sportler dreimal Gold und einmal Bronze holten – nicht mehr.
Bei seinen dritten Spielen wollte Aigner unbedingt eine Medaille holen. Der vierte Platz in Rio 2016 lag immer noch schwer im Magen. «Das war nicht so schön. Ich habe daran die letzten fünf Jahre jeden Tag im Training gedacht.»
Familie nicht in Tokio dabei
Dennoch waren die letzten Monate voller Anspannung. «Es war ein gewisses Gefühl der Hilflosigkeit und Frustration, ob Olympia stattfinden kann und die Pandemie so viele Jahre Training gefährdet», sagte er der Deutschen Presse-Agentur. Der sportliche Stellenwert von dem Ereignis sei aber nicht beeinträchtigt. «Ich denke nicht, dass ein Olympiasieg in Tokio ähnlich negativ behaftet ist, wie ein Corona-Abitur», betonte Aigner.
Zudem war geplant, dass er seine Familie mit nach Tokio nimmt. «Auch mein Sohn Niklas, der im August zwei Jahre alt wird. Es ist schade.» Aber es sei «kein Weltuntergang». Aigner hoffte nach dem Rennen, dass sein Sohn ihn im TV entdeckt hat. «Er hat es hoffentlich mit angeschaut und mich mit Helm erkannt, ich hoffe aber vor allem, dass er mich bei meiner Rückkehr dann erkennt.» Schon am Abend wolllte Aigner seine Koffer packen und mit dem Trainerteam noch anstoßen.
Die Liebe zum Kanusport bekam Aigner, der 2016 sein Studium der Betriebswirtschaftslehre mit dem Master abschloss, schon früh vermittelt. «Ich kann mich nicht mehr erinnern, es gibt aber Fotos, wo ich als ganz kleiner Junge schon im Boot saß, weil meine Eltern auch im Breitensport im Kanu aktiv waren. Da bin ich schon sehr früh mit dem Sport in Berührung gekommen», sagte er. 1996 habe er sich der ehemalige Handballer dann für Kanuslalom entschieden.
Gerne stellt er sich auch anderen Herausforderungen mit dem Kajak. So nahm er auch schon beim Dolomitenmann in Österreich teil, probierte sich bei einem Extremkajak-Wettkampf im Ötztal oder nahm beim Stand-up-Paddling teil. Ein Ziel: «Einfach mal das Boot nehmen und in die Berge fahren und auf dem Fluss paddeln. Dafür habe ich viel zu wenig Zeit.» Da sind auch die Temperaturen kälter. «Das Wasser hier ist wie ein Whirlpool, da schwitzt man auch mit kaltem Bier», sagte er über den olympische Wildwasserkanal.