Katar und die Fan-Frage – wer guckt zu?

Spät am Abend nach dem desolaten WM-Start der Nationalmannschaft kämpften sich einzelne deutsche Fans die Rolltreppen zur U-Bahnstation «Sport City» hinunter.

Gelohnt hatte sich die Reise ins Chalifa-Stadion zum 1:2 der DFB-Auswahl gegen Japan weder des Spiels noch der Atmosphäre wegen. Zwischenzeitlich war es gespenstisch leise in der Arena – in Deutschland spiegelte sich die allgemeine Stimmungslage in einer drastisch gesunkenen Einschaltquote zum Fußball-Highlight wider.

Schwache TV-Quoten

Im Schnitt verfolgten weniger als zehn Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer in der ARD das deutsche Auftaktspiel (9,230 Millionen), wie die AGF Videoforschung errechnete. Das ergab einen Marktanteil von 59,7 Prozent. Nach den Gründen wird gesucht. «Das können verschiedene sein – klar ist für mich die Erkenntnis, dass diese WM in der Form, zu dieser unüblichen Jahreszeit und mit den vielen anderen Begleitumständen in Deutschland einfach nicht so gut angenommen wird», sagte ARD-Sportkoordinator Axel Balkausky.

Für ZDF-WM-Teamchef Christoph Hamm wird der Sonntag entscheidend sein. Dann überträgt das Zweite Deutschland gegen Spanien um 20.00 Uhr. Für das DFB-Team geht es schon um alles oder nichts. «Dieser Fußball-Klassiker in der Primetime dürfte weiteren Aufschluss geben, wie dieses Turnier angenommen wird», sagte Hamm. 

Balkausky gibt sich bei Quoten-Vorhersagen ebenfalls vorsichtig. «Ich gehe nicht davon aus, dass es noch große Sprünge nach oben geben wird», sagte er. «Da dies aber sicherlich auch von einem Weiterkommen der deutschen Nationalmannschaft abhängt, sollten wir auch dies abwarten und uns mit Prognosen zurückhalten.»

Die Unterschiede im Vergleich zur WM im Sommer 2018 in Russland sind eklatant. Auch wenn das Streaming-Angebot im Jahr 2022 deutlich größer und die Anstoßzeit um 14.00 MEZ noch weniger fußballfreundlich war. Stell dir vor, es ist WM, und keiner schaut hin?

Weniger deutsche Fans vor Ort

Die massive Kritik am Ausrichter Katar wegen der Menschenrechtslage im Land hatte schon die Vorfreude auf das Turnier Umfragen zufolge deutlich eingeschränkt. Die Fans im Trikot und mit deutscher Fahne sind in deutlich geringerer Zahl in die Region gereist, die Mitglieder im «Fan Club Nationalmannschaft» fliegen für jede Partie aus Dubai ein. Lautstarke Aufrufe, die WM wenigstens persönlich vor dem TV oder Streaminggerät zu boykottieren, hallten auch an den ersten Spieltagen durchs Internet.

«Die WM, wie sie sich derzeit darstellt, wird auf jeden Fall kein Erfolg sein, das ist jetzt schon klar, und sie wird dem Fußball insgesamt auf jeden Fall schaden», sagte Uli Hoeneß «RTL Direkt» und dem «RTL Nachtjournal spezial». An den Quoten sei der «Schaden schon erkennbar».

Für den Moment gilt das aber zunächst sehr fokussiert auf Deutschland und Großbritannien, wo ebenfalls sinkendes Interesse verzeichnet wurde. In Frankreich hatten Boykott-Aufrufe keinen großen Effekt. Das erste Spiel der Bleus am Dienstagabend sahen 12,5 Millionen Zuschauer – bei der ersten Partie der französischen Mannschaft 2018 waren 12,6 Millionen gezählt worden. Auch im nicht qualifizierten Italien werden ordentliche Quoten erreicht, das deutsche 1:2 gegen Japan sahen am frühen Mittwochnachmittag rund 2,2 Millionen Italiener für einen Marktanteil von 19,3 Prozent.

Außerhalb Europas ist die Stimmungslage zur WM und zu Katar ohnehin anders. In Argentinien war schon die Vorfreude deutlich größer, kritische Berichte gibt es zwar, aber bei Weitem nicht im deutschen Ausmaß. Vor der Partie gegen Saudi-Arabien wurde über die Werbeverbindungen von Superstar Lionel Messi in die Region geschrieben. Aber Regenbogen oder «One Love»? Wenn überhaupt, ein Randaspekt. Auch sind aus Ländern wie Argentinien oder Mexiko Zehntausende Fans nach Katar gereist, während die Anhänger der europäischen Teams in den Stadien in Katar fast immer in der Unterzahl sind.

Mehr Begeisterung außerhalb Europas

Im nordafrikanischen Raum – etwa in Tunesien oder im nicht qualifizierten Ägypten – ist die WM-Begeisterung riesig. Beim ersten Spiel von Tunesien am Dienstag waren die Straßen in der Hauptstadt Tunis wie leer gefegt – die vielen Cafés mit Live-Übertragung dagegen rappelvoll. Die von Skandalen begleitete WM-Vergabe nach Katar ist kaum ein Thema. In Ägypten schauen unzählige Menschen die Spiele in Cafés oder auf Leinwänden in Shopping Malls.

Wer möchte, kann die deutsche Quote als Beleg für ein gestiegenes Bewusstsein für gesellschaftspolitische Themen werten. 2018 hatten die Übertragungen der ARD und des ZDF von den drei Gruppenspielen der deutschen Mannschaften mehr als 25 Millionen Menschen verfolgt, nicht eingerechnet die Fans beim Public Viewing. Die Marktanteile lagen zwischen 76,3 und 87,4 Prozent. Selbst das Spiel gegen Südkorea an einem Mittwoch um 16.00 Uhr MESZ verfolgten 25,44 Millionen Zuschauer. Und Russland war alles andere als ein Vorzeige-Gastgeber.

Die FIFA brüstete sich am Donnerstag damit, dass «erste Zahlen» darauf hindeuten würden, dass die WM «so beliebt ist wie eh und je» sei. Verwiesen wurde auf starke Einschaltquoten beispielsweise in Brasilien und Ecuador. Die deutschen Zahlen wurden nicht erwähnt.

Jan Mies und Miriam Schmidt, dpa