Katar-WM spaltet Fußball-Nation: Fast die Hälfte für Boykott

Die Debatte um den richtigen Umgang mit der umstrittenen Winter-WM in Katar spaltet die Fußball-Nation und beschäftigt an diesem Montag auch den Sportausschuss des Bundestages und den deutschen Rekordmeister Bayern München.

Fast die Hälfte der Deutschen sind der Meinung, dass die DFB-Auswahl wegen der Menschenrechtsverletzungen und Todesfälle von Bauarbeitern im Gastgeberland auf eine WM-Teilnahme verzichten sollte.

DFB: Dialog statt Boykott

Für den Deutschen Fußball-Bund ist dies keine Option. Nach Aussage von Generalsekretärin Heike Ullrich, die erst vor wenigen Tagen von einem Arbeitsbesuch in Katar zurückkehrte, erhofft sich der Verband durch das Turnier vielmehr Verbesserungen für die Menschen vor Ort. «Ich kann es durchaus nachvollziehen, wenn Menschen sagen, ich gehe da nicht hin als Fan oder Vertretung. Aber die Aussage der Gastarbeiter war sehr deutlich: weil ihr kommt, weil ihr uns helft und Fragen stellt, hat sich hier extrem viel entwickelt. Insofern nehmen wir gern diese Rolle ein», sagte Ullrich der Deutschen Presse-Agentur.

Der DFB setzt auf Dialog statt Boykott – doch der öffentliche Gegenwind ist erheblich. In einer repräsentativen Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov im Auftrag der Deutschen Presse-Agentur sprachen sich immerhin 48 Prozent der Befragten für einen WM-Rückzug des Teams von Bundestrainer Hansi Flick aus. Nur 28 Prozent befürworteten die Teilnahme an der Endrunde vom 21. November bis 18. Dezember, wo Japan, Spanien und Costa Rica die deutschen Vorrundengegner sind. 24 Prozent der Umfrageteilnehmer machten keine Angaben.

Das reiche Emirat wird immer wieder wegen systematischen Menschenrechtsverstößen und Ausbeutung von Migranten kritisiert. Die Regierung weist die Vorwürfe zurück und führt Reformen zu Gunsten der ausländischen Arbeiter an. So wurde zum Beispiel – zumindest auf dem Papier – das so genannte Kafala-System abgeschafft. Es bindet Migranten fest an einen einheimischen Bürgen wie einen Arbeitgeber und öffnet so der Ausbeutung Tür und Tor. Mittlerweile können ausländische Arbeiter laut Gesetz ohne Zustimmung des Arbeitgebers aus dem Land ausreisen oder den Job wechseln.

Indirekt bestätigt werden die Fortschritte von Ullrich, die sich als Mitglied einer Arbeitsgruppe der Europäischen Fußball-Union jüngst ein Bild von den Bedingungen im WM-Land machte. «Wir haben uns mit vielen Nichtregierungsorganisationen getroffen, mit dem katarischen Fußballverband, aber auch mit Migrantinnen und Migranten. Eine Hauptaussage von denen war: es ist hervorragend, dass es keinen Boykott gibt. Durch den Fokus auf das Land ist bei der Verbesserung der Arbeitsbedingungen sehr viel erreicht worden», berichtete die DFB-Generalsekretärin von ihren Gesprächen.

Kritik von Amnesty International

Ganz anders klingt das bei Amnesty International. In einer Stellungnahme für die Anhörung des Sportausschusses des Bundestages in Berlin heißt es: «Nach ersten Fortschritten in den Jahren 2018 – 2020, hat Amnesty International 2021 jedoch ein Nachlassen des Reformfortschrittes festgestellt. In Teilen wurden durch Untätigkeit der katarischen Regierung sogar bereits erreichte Fortschritte rückgängig gemacht.»

Die Menschenrechtsorganisation kritisiert, dass sich innerhalb der katarischen Wirtschaft zunehmend Widerstand gegen die Reformen formiere, «aus Sorge Einfluss und Profitmöglichkeiten zu verlieren». Verletzungen des Arbeitsrechts blieben in aller Regel ohne Konsequenzen. Diese «Kultur der Straflosigleit» lasse bisherige Erfolge erodieren und sende ein verheerendes Signal an die Gastarbeiterinnen und Gastarbeiter. Für das Gros von ihnen sei eine spürbare Verbesserung der menschenrechtlichen Situation «bis heute nicht erlebte Praxis geworden». Zudem seien im Vorjahr bis zu 70 Prozent aller Todesfälle von Arbeitsmigranten nicht angemessen untersucht worden.

Auch Ullrich weiß, dass Vieles noch im Argen liegt. «Es gibt immer noch Fälle, wo die Gesetzgebung sich zwar verändert, aber nicht implementiert hat. Das ist der Bereich, wo der Fußball sicher helfen kann, diese Punkte immer wieder anzusprechen, um etwas für die Menschen zu verändern. Nicht nur auf dem Weg zur WM, sondern auch danach», betonte die 52-Jährige.

Thema LGBTQ+ immer wieder im Fokus

Immer wieder im Fokus steht auch das Thema LGBTQ+ und die Frage: Wie wird die WM für lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Menschen? Laut Gesetz ist etwa Homosexualität in Katar verboten und wird mit bis zu sieben Jahren Gefängnis bestraft.

Offiziell beteuert Kater, die WM werde ein Turnier für alle sein. «Jeder wird in Katar willkommen sein, unabhängig von seiner Herkunft, Religion, seinem Geschlecht, seiner sexuellen Orientierung oder seiner Nationalität», sagt ein Sprecher des Organisationskomitees. Gleichzeitig verweist er darauf, dass die katarische Gesellschaft «relativ konservativ» sei. So seien etwa öffentliche Zuneigungsbekundungen nicht Teil der Kultur. Das gelte für alle, egal welche Orientierung sie hätten. «Jeder ist willkommen, aber wir erwarten, dass jeder unsere Kultur und Traditionen respektiert.»

DFB-Präsident: «fragwürdige Umstände»

DFB-Präsident Bernd Neuendorf freut sich zwar «grundsätzlich auf die WM, was das Sportliche betrifft». Zugleich räumte er unlängst in einer Medienrunde ein: «Die ganzen Umstände sind schon so, dass sie sicher fragwürdig sind.» Man werde sich weiter ein Meinungsbild verschaffen und die Diskussion vorantreiben.

Wie der DFB muss sich auch der FC Bayern München, der seit 2018 die Fluglinie Qatar Airways als lukrativen Partner hat, intensiv mit dem Emirat auseinandersetzen. Für viele Bayern-Fans ist Katar ein Reizthema. Der deutsche Fußball-Rekordmeister hat daher an diesem Montag seine kritischen Anhänger zu einem Runden Tisch mit den Vereinsbossen geladen. An dem Dialog hinter verschlossenen Türen soll neben Vorstandschef Oliver Kahn auch FCB-Präsident Herbert Hainer teilnehmen. Medienberichten zufolge haben sich außerdem Vertreter des katarischen WM-OK sowie von Menschenrechtsorganisationen angekündigt.

Von Eric Dobias und Jan Kuhlmann, dpa