Keine Mercedes-Berufung: WM-Titel für Verstappen sicher

Toto Wolff saß im schwarzen Rollkragenpullover vor einer grauen Betonwand und wirkte eigentlich ganz ruhig, doch die Worte des Mercedes-Motorsportchefs hatten es in sich.

«Lewis und ich sind desillusioniert im Moment», sagte der Österreicher: «Wenn wir die fundamentalen Prinzipien des Sports außer Acht lassen und die Stoppuhr nichts mehr wert ist, weil es willkürliche Entscheidungen gibt, dann beginnt man zu hinterfragen, ob all die Arbeit, Blut, Schweiß und Tränen es wert sind.» Es könne einem «willkürlich alles weggenommen werden», sagte Wolff und ergänzte: «Wir werden niemals darüber hinwegkommen, das ist nicht möglich.»

Fast vier Tage hatten Wolff und das Formel-1-Team der Silberpfeile um den entthronten Weltmeister Lewis Hamilton nach den kontroversen Vorfällen von Abu Dhabi geschwiegen. Kurz zuvor hatte das Werksteam bereits schriftlich mitgeteilt, auf den Gang vor das Berufungsgericht des Internationalen Automobilverbandes zu verzichten. Unmittelbar nach dem Triumph von Red-Bull-Pilot Max Verstappen vor Hamilton hatte der Rennstall zwei Proteste eingereicht. Beide waren abgeschmettert worden. Daraufhin hatte das Team den Formalien entsprechend eine Absichtserklärung für eine Berufung hinterlegt und 96 Stunden Zeit, diesen Schritt auc zu unternehmen. Das geschah nun aber nicht.

Verstappen feiert

Der neue Champion beschäftige sich derweil nicht mit den rechtlichen Schritten des Rivalen, Verstappen feierte lieber. «Wir hatten eine richtig gute Zeit, weil wir wussten, dass wir es auf der Strecke gewonnen haben. Niemand kann uns das wegnehmen», sagte der 24 Jahre alte Niederländer bei der Fia-Gala in Paris. Mitleid mit dem entthronten Hamilton habe er nicht. «Aber ich verstehe, dass es sehr schmerzhaft für ihn ist. Aber so ist Racing, alles kann passieren», sagte Verstappen. Zu Spekulationen über einen Rücktritt des Briten meinte er: «Ich sehe keinen Grund, warum er aufgeben sollte.»

Bei den Protesten am Rennabend ging es um das Verhalten von Verstappen in der entscheidenden Safety-Car-Phase und um Anweisungen von Rennleiter Michael Masi. Verstappen hatte von den Maßnahmen so profitiert, dass er auf der letzten Runde die Chance zum Überholen von Hamilton bekommen und diese zum Titelgewinn genutzt hatte.

«Ich bin nicht interessiert an einem Gespräch mit Michael Masi. Die Entscheidungen in den letzten vier Minuten haben einen verdienten WM-Titel für Lewis Hamilton verhindert», sagte Wolff in einer digitalen Medienrunde. Es müsse nun dringend geregelt werden, wie solche Situationen unterbunden werden könnten. «Dem Sport wurde viel Schaden zugefügt, das darf nicht wieder passieren», sagte Wolff.

Kommission ins Leben gerufen

«Wir sind im Sinne der sportlichen Fairness in Berufung gegangen, und wir haben seitdem einen konstruktiven Dialog mit der Fia und der Formel 1 geführt, um in Zukunft für Klarheit zu sorgen», hieß es in einer Mercedes-Erklärung. In diesem Zusammenhang begrüßte der Konstrukteurs-Weltmeister die Entscheidung der Fia, eine Kommission ins Leben zu rufen, um die Geschehnisse in Abu Dhabi gründlich zu analysieren. Das hatte der Weltverband bekanntgegeben.

«Wir erwarten, dass die Kommission nicht nur redet, sondern auch handelt. Daran werden wir sie messen», sagte Wolff. Die Entscheidungsfindung in der Formel 1 müsse dringend verbessert werden. «Es ist eine Sache, hart zu fahren und verschiedene Meinungen zu haben, aber inkonsequente Entscheidungen führen zu Kontroversen. Das war in dieser Saison der Nährboden für viele unnötige Kontroversen», sagte Wolff. Ob Masi noch der richtige Mann für den Job des Rennleiters sei, wollte der 49-Jährige nicht beantworten. «Es liegt an der Fia zu entscheiden, wie diese Situationen verhindert werden können», sagte Wolff. Mercedes will nun «aktiv mit der Kommission zusammenarbeiten, um eine bessere Formel 1 zu schaffen».

Verstappen hatte Hamilton nach Beendigung der Safety-Car-Phase in der letzten Runde überholt und sich mit seinem zehnten Saisonsieg erstmals den Titel gesichert. Die Mercedes-Bosse hatten angeprangert, dass das Safety Car ihrer Meinung nach den Regeln entsprechend erst eine Runde später in die Box hätte fahren dürfen. Das Rennen wäre dann dahinter beendet worden und Hamilton Titelträger auch in diesem Jahr und mit acht Triumphen alleiniger Rekordweltmeister vor Michael Schumacher gewesen.

Hamilton schweigt

«Für mich ist das wie ein Alptraum, es ist so unglaublich enttäuschend», sagte Wolff. Noch immer habe er sich nicht davon erholt. Hamilton hat bislang zu den Vorfällen geschwiegen. «Ich hoffe, dass Lewis weitermacht», sagte Wolff, schob dann aber nach, dass er ein frühzeitiges Karriereende des Rekordjägers derzeit nicht fürchte. «Trotzdem müssen wir zusammen diesen Schmerz überwinden.» Wolff und Hamilton nahmen in Paris auch nicht an der offiziellen Preiszeremonie der Fia teil, bei der Verstappen die Trophäe für den WM-Gewinn überreicht wurde.

Dem neuen Champion aus den Niederlanden gratulierte Wolff bereits persönlich. «Ich habe größten Respekt vor Max und Red Bull und hätte unter normalen Umständen akzeptieren können, dass Max am Sonntag den Titel gewinnt», sagte der Teamchef. Unter den gegebenen Umständen sei das aber für ihn nicht möglich: «Lewis in der letzten Runde des Rennens des Titels zu berauben, kann man nicht akzeptieren.»

Von Thomas Wolfer und Jens Marx, dpa