Was seinen Körper angeht, ist Andreas Wellinger schonungslos ehrlich.
«Mein Knie ist kaputt, das habe ich so akzeptiert und wird sich auch nicht mehr ändern. Der Rest funktioniert gut. Ich bin voll motiviert für die nächste und die übernächste Saison und keine Ahnung wie viele Jahre noch», sagte der Skisprung-Olympiasieger vor dem Saisonstart in Wisla, der als Experiment auf grünen Matten statt auf weißem Kunstschnee durchgeführt wird. Der 27 Jahre alte Wellinger kommt als deutscher Meister und mit jeder Menge Selbstvertrauen.
Zum ersten Mal seit dem goldenen Olympia-Winter 2017/18 könnte der massiv von Verletzungen geplagte Bayer wieder in der absoluten Weltspitze mitwirken und den Teamkollegen Karl Geiger und Markus Eisenbichler Konkurrenz machen. Grund dafür könnte neben der körperlichen Stabilisierung auch ein Wechsel der Skimarke sein. «Der Skiwechsel ist ein Baustein, der mir hilft, den Sprung zu stabilisieren», sagte Wellinger, der seit bald fünf Jahren keinen Einzel-Weltcup mehr gewonnen hat.
«Sprünge sind stabiler geworden»
Im bevorstehenden XXL-Winter, der von Anfang November bis Anfang April dauert, soll vieles anders werden – nämlich besser. «Es ist Skispringen auf hohem Niveau gerade. Meine Sprünge sind stabiler geworden. Der Unterschied zu den letzten beiden Jahren ist: Sprünge, die nicht ganz optimal sind, fliegen immer noch. Wenn ich das stabilisieren kann, ist viel möglich», sagte Wellinger. Sein konkretes Ziel packt er nicht in Medaillen oder Platzierungen. Der Anspruch, «das eine oder andere Mal zur Siegerehrung zu gehen», klingt aber schon deutlich forscher als in den vergangenen Jahren.
Wellinger schaffte es sehr jung sehr weit in die Weltspitze, feierte mit Anfang 20 seine größten Erfolge. Dann folgten Verletzungen, Formtiefs und sich wiederholende technische Probleme im Sprung. Bundestrainer Stefan Horngacher arbeitet nun schon die vierte Saison mit Wellinger zusammen, auch er äußert große Zuversicht. «Wir haben neben Geiger und Eisenbichler, die recht gut unterwegs sind, den Andi Wellinger zurückbekommen, der dieses Jahr eine sehr gute Sommersaison gesprungen ist, den Ton angegeben hat in der Mannschaft», sagte der Österreicher. «Er ist definitiv konkurrenzfähig im Weltcup.»
Geiger und Eisenbichler sind seit Jahren Musterbeispiele an Konstanz. Für Wellinger wäre es anfangs schon schön, das Niveau des Sommers bestätigen zu können und punktuell in die Weltspitze zu stoßen. «Das Ziel wäre, über einen möglichst langen Zeitraum gut auf dem Gas zu stehen und welche Wettkämpfe dann besonders gut werden, das werden wir sehen», sagte Wellinger. An Höhepunkten mangelt es nicht, auf die Vierschanzentournee rund um den Jahreswechsel folgt die Nordische Ski-WM im slowenischen Planica (21. Februar bis 5. März 2023).
Auch Schmitt zuversichtlich
Auch Eurosport-Experte Martin Schmitt ist zuversichtlich, dass der Tiefpunkt hinter Wellinger liegt. «Er war in einer Negativspirale drin. Er hat sich angestrengt, aber es ist immer schlechter geworden. Der Materialwechsel tut ihm gut. Er ist auf einem guten Weg», sagte der frühere Gesamtweltcup-Sieger der Deutschen Presse-Agentur.
Der locker-gelöste Eindruck, den Wellinger vor den Kameras trotz Misserfolgen stets vermittelte, könne da durchaus getäuscht haben. «Natürlich grübelt man auch in so einer Situation, wenn es über einen längeren Zeitraum nicht geht», sagte Schmitt, der bei Wellinger vor allem technische Schwierigkeiten und Probleme mit dem Absprung ausmachte. «Dann verliert man ein Stück weit das Vertrauen. Das braucht man natürlich in der Wettkampfsituation.» Nach dem Auftakt in Wisla haben die Skispringer nochmal zwei Wochenenden Pause, bevor es in Finnland weitergeht.