«Können Weltmeister werden»: Van Gaals Traum vom Glück

Natürlich hatte er noch Zeit für ein paar Selfies. Der oft als knorrig geltende Louis van Gaal gab sich vor dem WM-Auftakt seiner Elftal betont gelassen und erfüllte bestens gelaunt die Wünsche nach digitalen Erinnerungen.

Das Turnier in Katar, in das die Niederlande am 21. November (17.00 Uhr MEZ/ZDF und MagentaTV) gegen Afrikameister Senegal startet, soll zum abschließenden Highlight der an Glanzpunkten nicht armen Karriere van Gaals werden. Der Bondscoach glaubt vor seinem letzten Tanz auf der ebenso glanzvollen wie umstrittenen WM-Bühne an den ganz großen Wurf.

Der Erfolg gibt van Gaal Recht

«Wir können Weltmeister werden», betonte van Gaal und schob gleich eine Begründung in der ihm eigenen Art hinterher: «Bei der WM 2014 sind wir mit einer Mannschaft Dritter geworden, die weniger Qualität hatte. Ich erwarte also mehr.» Vor acht Jahren trugen Spieler wie Arjen Robben, Wesley Sneijder und Robin van Persie das Oranje-Trikot – und die findet man im WM-Almanach nicht unbedingt unter L wie Laufkundschaft.

Doch van Gaal hatte immer schon seine eigenen Ansichten. Und der Erfolg gibt dem mit 71 Jahren ältesten Trainer dieser WM natürlich recht. Sagt er jedenfalls selbst, wenn es um seine Idee des Fußballs geht: «Man braucht mindestens drei, aber maximal vier Kreativspieler in einem Team. Der Rest muss diesen Spielern dienen. Bisher bin ich damit ganz erfolgreich, deshalb glaube ich, dass ich recht habe.»

Sieger der Champions League und im Uefa-Cup, Weltpokalsieger, Meister in Deutschland und Spanien, Pokalsieger in England. Der Trophäenschrank von Aloysius Paulus Maria van Gaal ist prächtig gefüllt. Auch vom kommenden Gegner wird er mit Lob überschüttet. «Er ist der Maßstab für fast alle anderen Trainer», sagte Senegals Coach Alliou Cissé. «Jeder weiß Bescheid, dass er viel Wert auf Disziplin legt. Genau das braucht man auf dem Top-Level.»

Hinter jedem Fußballer steckt ein Mensch

Doch dieses Turnier in der Wüste dürfte auch für den erfahrenen Coach herausragen. Zum einen steht schon fest, dass er im Anschluss von Ronald Koeman abgelöst wird. Außerdem ist es das erste große Fußball-Ereignis, seit er im April seine Prostatakrebserkrankung öffentlich gemacht hatte. Zu diesem Zeitpunkt hatte er schon 25 Bestrahlungen hinter sich, sich teilweise an Abenden bei Trainingslagern dafür aus dem Teamhotel geschlichen. Die Spieler sollten nichts mitbekommen.

Von dieser schweren Zeit merkt man van Gaal in den Tagen von Doha bisher nichts an. Der Mann ist auf das große Ziel WM-Titel fokussiert. Selbst politische Fragen etwa zur One-Love-Kapitänsbinde beantwortet er nicht mehr. Alles wird dem Erfolg untergeordnet. Van Gaal redet lieber sein Team stark, lobt Kapitän Virgil van Dijk als großes Vorbild und hebt den Zusammenhalt in der Mannschaft heraus.

Der Mensch steht im Mittelpunkt. So sei es in den mehr als zwei Jahrzehnten seiner Karriere schon immer gewesen. «Ich habe mich nie verändert», betont er. «Ich habe immer noch dieselbe Vision wie damals, als ich angefangen habe. Hinter jedem Fußballer steckt ein Mensch. Und jeden Spielern muss man auf eine andere Art triggern, damit er sich deinen Ideen öffnet. Ich richte mich immer nach den Stärken der Spieler.»

Wie lange van Gaal das noch machen will, lässt er offen. «Ich habe den Job damals angenommen, weil kein anderer qualifizierter Trainer verfügbar war», erklärte er zu seiner dritten Amtszeit als Bondscoach, die am 4. August 2021 begann. Seitdem ist die Niederlande ungeschlagen. «Das ist die große Frage, ob es mein letztes Turnier ist. Ich bin nicht sicher. Als ich diesen Job angetreten bin, waren fünf Jahre vergangen seit meiner Zeit bei Manchester United. Das sagt doch schon alles.»

Die voraussichtlichen Aufstellungen:

Senegal: 1 Edouard Mendy – 7 Sabaly, 3 Koulibaly, 4 Diallo, 22 Ballo-Touré – 17 Pape Matar Sarr, 6 Nampalys Mendy, 5 Idrissa Gueye – 15 Diatta, 21 Dia, 18 Ismaila Sarr

Niederlande: 13 Bijlow – 2 Timber, 4 van Dijk, 5 Aké – 22 Dumfries, 21 de Jong, 11 Berghuis, 17 Blind – 7 Bergwijn, 11 Gakpo – 18 Janssen

Schiedsrichter: Wilton Sampaio (Brasilien)

Tom Bachmann, dpa