Felix Loch und Wladislaw Heraskewitsch unterscheidet auf den ersten Blick wenig. Beide stürzen sich die Eiskanäle hinab. Der eine, Heraskewitsch, sogar mit dem Kopf voraus. Beide stehen sie in dieser Woche vor großen Aufgaben.
Rodel-Star Loch will in Oberhof seinen 14. WM-Titel holen und sagt selbstbewusst: «Ich bin schon einige Jahre mit dabei. Ich weiß, auf was es ankommt, was wichtig ist.» Und Skeletoni Heraskewitsch wird sich bei der WM im schweizerischen St. Moritz auf seinen Schlitten werfen, um für eine Spitzenzeit alles zu riskieren. Auch er weiß, worauf es für ihn ankommt: «Wir versuchen, die Ukraine zu unterstützen, so gut es geht», sagt der 24-Jährige aus Kiew.
Zwei Wintersportler aus zwei Welten – und doch eng vereint. An Weihnachten lud der Berchtesgadener Loch (33) seinen fast zehn Jahre jüngeren Kollegen und dessen Vater, den Trainer Michail Heraskewitsch, zu sich nach Hause ein. Und während der Raclettekäse schmolz, vertiefte sich eine Freundschaft, die weit über das Sportliche hinausgeht. Loch hat sich inzwischen auch als Ukraine-Unterstützer einen Namen gemacht, nutzt seine Popularität und Kontakte. «Und wenn zu mir noch mal jemand sagt, Politik hat mit Sport nichts zu tun oder der Sport nichts mit Politik, dann muss ich ihn leider auslachen.»
Titelwunsch und klare Botschaften
In Oberhof geht es für Loch am Sonntag um den WM-Titel im Einzel, aber eben auch darum, klare Botschaften zu setzen. Etwas, was zuletzt ganze Verbände aus der Bahn warf. «Es ist wichtig, dass man sich positioniert und auch seine Meinung dazu hat», sagte Loch. Als Vorbild dient ihm Heraskewitsch.
«Ich bin erstmals bei Olympia auf ihn aufmerksam geworden», erinnert sich Loch an die Winterspiele im vergangenen Jahr. Da machte Heraskewitsch deutlich, dass es den Krieg, der erst kurz nach Olympia über die Ukraine hereinbrechen sollte, nicht geben dürfe. Mit einem Blatt Papier im Format DIN A4 war er vor die Kameras getreten. «NO WAR IN UKRAINE» stand darauf. Kein Krieg in der Ukraine. «Gut, da haben wir alle noch gedacht, ja, der hat recht natürlich. Passt», sagt Loch. «Aber für mich war es bis zu diesem Zeitpunkt unvorstellbar, dass wir im 21. Jahrhundert noch mal einen Krieg in Europa erleben – schon gar nicht so nah vor unserer Haustür.»
Im Sommer sah Loch, Mitgründer der Organisation «Athletes for Ukraine», den Skeletoni wieder, beim Training auf der Startbahn in Königssee. Sie tauschten sich aus, über die Ukraine, über Hilfsmöglichkeiten. Der Kontakt wurde enger – und plötzlich war Weihnachten, aber die Heraskewitschs konnten nicht in ihre Heimat reisen. «Mir war wichtig, dass sie in dem Moment nicht alleine irgendwo sitzen, sondern eben ein Zuhause haben», erzählt Loch. Eine Haltung mit Herz – die nicht überall gut ankommt.
Negativ-Kommentare von russischen Rodlern
Aus der russischen Rodler-Szene gab es teils negative Kommentare. «Da sieht man dann doch recht schnell, wie der eine oder andere denkt oder tickt», sagt Loch. In seiner Stimme schwingt Enttäuschung mit. Von einigen russischen Sportlern, die er persönlich gut kennt, habe er gedacht, «dass sich die vielleicht nicht für den Krieg aussprechen». Stepan Fjodorow, der ein paar Weltcuprennen schon auf dem Podium beendet hat, fiel als Kriegsbefürworter auf, ebenso der Doppelsitzer Wsewolod Kaschkin.
Doch so klar, wie oft alles scheint, ist die Sache für Loch nicht. Manche aus der russischen Szene hätten sich ganz zurückgezogen. Ein anderer, Ex-Weltmeister Semjon Pawlitschenko, drückte über einen Eintrag bei Youtube seine Sympathie für den ukrainischen Rodler Andriy Mandziy aus. Nun sei der Russe «komplett verschwunden von der Bildfläche», der Instagram-Account gelöscht worden, erzählt Loch, der sich auch darüber Gedanken macht: «Was machen sie mit dem?», fragt er, «oder vor allem mit seiner Familie? Das ist schon erschreckend, beängstigend.» Die Telefonnummer seines früheren Rivalen hat Loch noch, aber Pawlitschenko sei nicht mehr zu erreichen. «Man kann nur hoffen, dass wir ihn irgendwann mal wiedersehen. Ich muss es wirklich so sagen.»
Und andererseits steht für Loch auch fest, dass russische Athleten nicht in den Weltcup zurückkehren sollten, solange Russland in der Ukraine Krieg führt. Der Familienvater würde sich in allen Sportarten einen entsprechenden Bann wünschen. «Meine Meinung dazu ist klar: Solange der Krieg nicht beendet ist, haben sie im Sport einfach nichts zu suchen.» Heraskewitsch drückt sich noch direkter aus: «Heute töten sie vielleicht Zivilisten, in Dnipro, in Cherson oder anderswo in der Ukraine – und morgen nehmen sie mit uns an internationalen Wettbewerben teil.» Das funktioniere nicht.
Er habe sich schon gefragt, wie er überhaupt Skeleton fahren könne, während einige hundert Kilometer weiter der Krieg tobt. «Aber wir sind hier, wir verschwinden nicht. Es ist wirklich wichtig, jetzt über die Ukraine zu sprechen.» Bei Kumpel Felix Loch darf sich Heraskewitsch sicher sein, dass der das Thema weiter auf der Bahn hält.