«Man merkt den Tatendrang»: Nagelsmann weckt neue Power

Stolz präsentierte Julian Nagelsmann an der Seite von Rudi Völler seine erste Trophäe als Bundestrainer.

Das dunkelblaue Trikot mit seinem Namen und der Nummer 1 auf Brust und Rücken als Gastgeschenk der Football-Stars der New England Patriots war für den neuen Chefcoach der Fußball-Nationalmannschaft aber selbstverständlich nicht genug. Das wurde durch die ersten Trainingseindrücke in Massachusetts schnell deutlich.

«Man merkt den Tatendrang, man merkt die Motivation», beschrieb Kapitän Ilkay Gündogan die ansteckende Power, mit der der neue DFB-Chefcoach bei seinem Debüt auf der US-Tour ans Werk geht. Eine erfolgreiche Heim-EM 2024 ist das Ziel, nicht ein Souvenir aus Amerika.

Tatendrang und Motivation von Nagelsmann waren auf dem von einem Wald umgebenen Trainingsplatz in Foxborough auch zu hören. Ständig gab er klare Anweisungen an die Spieler bei den Übungsformen. Der 36-Jährige eröffnete selbst immer wieder die Passstafetten, mit denen die DFB-Auswahl ihre Gegner künftig endlich wieder dominieren soll.

Havertz in den USA gelandet – Kader komplett

Am Vormittag (Ortszeit) ging es im intensiven Übungsmodus gleich weiter, mit einer Einheit, die zuvor auf dem veröffentlichten Ablaufplan gar nicht notiert war. In zwei Gruppen trainierten die Nationalspieler auf Plätzen der New England Patriots aus der NFL und des Major-League-Soccer-Teams von New England Revolution, wie der DFB mitteilte. Kai Havertz war da gerade in Amerika gelandet. Wie vereinbart reiste der 24 Jahre alte Arsenal-Profi nach seiner Zahn-Operation später an. Der 26-Mann-Kader von Nagelsmann ist damit komplett.

Passivität, Zweifel, Konfusion, all das will der Bundestrainer vertreiben. Der riesige Schriftzug «Revolution» auf dem Dach des Trainingsquartiers des gleichnamigen MLS-Teams, der die Nationalmannschaft beherbergt, wirkt wie ein Omen.

Besuch von Ex-NFL-Star und Bierhoff

Das Wort Befreiung würde die Grundstimmung im Nationalteam vor den Test-Länderspielen gegen die USA am Samstag (21.00 Uhr/RTL) in Hartford und am Mittwoch (2.00 Uhr/ARD) darauf in Philadelphia gegen Mexiko auch beschreiben. Locker ging es zu. Es wurde geklatscht und gelacht, als der einstige deutsche NFL-Star Markus Kuhn die Trikots der Patriots an alle Spieler und die Führungscrew verteilte.

Das konnte auch Oliver Bierhoff als Gast nicht entgehen. Zum ersten Mal seit der für ihn schmerzhaften Trennung nach dem WM-Debakel in Katar war der frühere DFB-Direktor wieder bei der Nationalmannschaft. Aber eben nur als Besucher, obwohl die in der Heimat kritisch kommentierte USA-Reise noch unter seiner Regie geplant wurde.

Richtung und Rhythmus geben jetzt andere vor. «Ein neuer Trainer bringt immer auch neue Dynamiken mit, das ist auch vollkommen klar», sagte Gündogan über den Nachfolger des glücklosen Hansi Flick. Überraschend groß sei Nagelsmann, berichtete der Barça-Profi nach der ersten persönlichen Begegnung. «Im Fernsehen habe ich das gar nicht so wahrgenommen, dass er schon eine gute Statur hat», sagte Gündogan.

Die Amerika-Reise ist für Riese Nagelsmann wie ein Crash-Kurs. Den DFB-Profis verschafft sie erstmal mehr interessante Momente als die befürchteten Stress-Momente. «Es war cool, dass wir die Trikots gekriegt haben und wir ein bisschen in diese Welt eintauchen können. Es ist eine andere Welt», sagte der Leverkusener Jonas Hofmann über die Erlebnisse im Football-Mekka Foxborough.

Fußball im Mittelpunkt

Doch im Mittelpunkt steht unter Nagelsmann der eigene Sport. «In den Gesprächen geht es schnell um Fußball, um Dinge, die er vermitteln will», erzählte Hofmann. Die Nationalspieler müssen – kaum ist der Jetlag halbwegs überwunden – auch viel zuhören.

«Das Passspiel ist von großer Bedeutung, das heißt, viel vertikal zu spielen, steil, klatsch, kleine Details, die plump und einfach sind, wo wir aber einfach ein Gefühl kriegen wollen, wo wir Sicherheit kriegen wollen», berichtete Hofmann. Die «Grundprinzipien» würden immer und immer wieder von Nagelsmann gepaukt und gepredigt. «Wir haben den Anspruch, attraktiven Fußball zu spielen, der die Menschen im Land begeistert», beschrieb der 36 Jahre alte Fußballlehrer seinen Anspruch.

Doch Nagelsmann weiß, der Weg aus der Krise nach den letzten Länderspielen, die er noch «aus Fansicht» verfolgte, führt am schnellsten über simple Abläufe. «Der Plan wird nicht so komplex und kompliziert wie im Vereinsfußball», sagte er über seine taktischen Überlegungen. «Einfachheit ist ein gutes Stichwort. Wir werden nicht 14 verschiedene Grundformen haben», kündigte er an.

Grundform bereits erkennbar

Eine Grundform war beim Training in Foxborough schnell erkennbar. Im 4-2-2-2-System wurde der Ball immer wieder schnell und steil nach vorne gespielt. Die Achse bilden dabei allesamt Spieler über 30 Jahre, wenig jünger also als Nagelsmann (36) selbst. Von Marc-André ter Stegen (31) im Tor über die zentrale Abwehr mit Rückkehrer Mats Hummels (34) und Antonio Rüdiger (30) sowie Gündogan (32) als Mittelfeld-Schaltstelle neben Joshua Kimmich, der unter Nagelsmann wieder im Zentrum statt rechts vorgesehen ist.

Nagelsmanns Vertrauensspieler aus Bayern-Zeiten ist zwar erst 28, aber auch längst kein Greenhorn mehr. Kimmichs 80 Länderspiele werden im aktuellen Kader nur von Thomas Müller (34 Jahre/123 Länderspiele) getoppt. Die Kette der betagten Führungsfiguren vollendet Sturmspitze Niclas Füllkrug (30), der zwar nicht mal seit einem Jahr Nationalspieler ist, aber auf dem Trainingsplatz den Ton angibt – fast so laut wie Nagelsmann.

Von Arne Richter und Klaus Bergmann, dpa