Marius Wolf und Co.: «Der große Traum» vom Fußballprofi

Marius Wolf galt bei Borussia Dortmund bis zuletzt als einer der Transferkandidaten, doch der 26-Jährige will sich bei seinem Club durchbeißen – mal wieder.

Es ist ein andauernder Kampf für den gebürtigen Oberfranken, der mit 16 Jahren aus dem Nachwuchsleistungszentrum des 1. FC Nürnberg weggeschickt wurde und es dennoch zum Fußball-Millionär gebracht hat.

Wolf ist einer von drei Protagonisten in Ronald Rengs neuem Buch «Der große Traum. Drei Jungs wollen in die Bundesliga.» Neun (!) Jahre lang verfolgte der Autor den Weg der Talente: ein bemerkenswertes Sittengemälde einer Branche, in der es nur ganz wenige ins Profigeschäft schaffen.

«Herrlichkeit und Ungerechtigkeit des Fußballs»

Reng (51), der unter anderem die Biografie über Robert Enke schrieb, bezeichnet sein jüngstes Werk als sein schönstes: «Ein Buch über die wahnsinnige Lebenskraft der Jugend, über die Herrlichkeit und Ungerechtigkeit des Fußballs.»

Es geht um Marius Wolf, Fotius «Foti» Katidis und Niko Reislöhner, die einst mit großen Hoffnungen in die Nachwuchsleistungszentren des 1. FC Nürnberg beziehungsweise der SpVgg Greuther Fürth einzogen. 5588 Spieler werden nach Angaben der Deutschen Fußball Liga (DFL) durchschnittlich in den 36 Zentren ausgebildet, 56 sind es sogar zusammen mit jenen des DFB. 70 Aktiven gelingt in jeder Saison der Sprung in den Kader einer Erst- oder Zweitliga-Mannschaft.

Gnadenloses Ausleseverfahren

Es ist ein gnadenloses Ausleseverfahren, dem sich einst auch Wolf, Katidis und Reislöhner stellten. Deren Familien stehen mal stolz, mal hoffnungsfroh, verzagt oder frustriert daneben, wenn ihre Söhne spielen dürfen oder nicht, mal wieder Schulprobleme haben oder sich einen neuen Club suchen müssen. Als einziger des Trios hat Wolf seinen Traum verwirklicht: 2018 war er sogar DFB-Pokalsieger mit Eintracht Frankfurt.

Wolf sieht bei der Eintracht eine schillernde Figur als großen Bruder: Kevin Prince Boateng. Der international erfahrene Profi macht ihn mit Rapper Dú Maroc bekannt, aber auch mit Kompressionsstrümpfen zur besseren Durchblutung und mahnt ihn, alles dem Sport unterzuordnen: «Schau mich an, ich habe es in deinem Alter verzockt.» Nach seinem Wechsel nach Dortmund wohnt Wolf sogar im Haus von Jürgen Klopp. Danach: ausgeliehen an Hertha BSC und den 1. FC Köln und jetzt beim BVB wieder einer unter vielen.

Kein gutes Zeugnis für die Branche

Foti Katidis, heute 24, hat in der U17 von Nürnberg mal Pellegrino Matarazzo, den heutigen Chefcoach des VfB Stuttgart, als Trainer. Mit 15 riefen sie den Dribbelkünstler «Messi», seine Suche nach einem neuen Verein gestaltet sich bald zunehmend verzweifelt. Zuletzt spielt Katidis 2018 beim SV Seligenporten. Er beginnt eine Lehre als Versicherungskaufmann. Mit Fußball hat er aufgehört. Sein Vater sagt einmal: «Ich hatte mit dieser Fußballwelt nie etwas zu tun, und ich bereue es, dass Foti da hinein geraten ist.»

Niko Reislöhner kickt wieder bei seinem Heimatverein DJK Stopfenheim in der Kreisliga, nachdem es vor drei Jahren in der zweiten Mannschaft des FC Ingolstadt nicht weiterging. Eindrücklich beschreibt Reng, wie der so fleißige Reislöhner zu Fürther Zeiten von einer «g’scheiten Verletzung» träumt, damit er mal seine Ruhe hat. Von der Pendelei von Weißenburg zum Training, vom Stress in der Schule, von einem Trainer, der ihn fertigmacht.

Reislöhner ist längst umgeschwenkt auf eine Ausbildung zum Fliesenleger. Und trotz des geplatzten Traums von der Bundesliga: «Ich würde alles noch mal ganz genauso machen», sagt er. «Zu tausend Prozent», erklärt Katidis sogar.

Nur fünf Prozent schaffen es

«Von den rund 26.000 Talenten, die zwischen 2010 und 2020 in den Nachwuchsakademien der deutschen Proficlubs lernten, wurden wohl allenfalls fünf Prozent Profis», schreibt Reng. Bis zur U15 seien rund 10.000 schon wieder verabschiedet worden. Zur statistischen Logik gehöre, dass es in Deutschland nur rund 2000 Stellen für Profis (aus aller Welt) gebe. Es werde systematisch eine große Zahl an Talenten aufwendig ausgebildet, für die kein Bedarf vorhanden sei. Das wüsste mehr oder weniger jeder – «bloß verdrängen es alle.»

Foti Katidis sah zu seiner Zeit bei 1860 vor einigen Jahren am Münchner Flughafen zufällig Marius Wolf (damals Hannover 96) im Ankunftsbereich. Er sprach ihn nicht an. «Was sollte er denn sagen? Marius war jetzt ein erfolgreicher Profi und er krebste als Ersatzspieler der U21 herum», heißt es im Buch über diese Szene.

Von Ulrike John, dpa