Mbappé und Hakimi: «Die Halbbrüder» als Gegner

Vor ein paar Tagen noch posierten Kylian Mbappé und Achraf Hakimi lässig und lächelnd für ein Erinnerungsfoto. Mit kleinen Spitzen erheitern die beiden Kumpels und Profis des Katar-Clubs Paris Saint-Germain auch während der Fußball-WM ihre Millionen Fans in den sozialen Netzwerken.

Nur kommt jetzt der Mittwoch, das große Halbfinale von Weltmeister Frankreich gegen das Sensationsteam Marokko – und die beiden Starspieler müssen sich im direkten Aufeinandertreffen messen.«Die Halbbrüder», schrieb die französische Fachzeitung «L’Équipe» vor der Partie am Mittwoch (20.00 Uhr MEZ/MagentaTV und ZDF).

Im Internet kursierte in den vergangenen Tagen ein Video der beiden im leeren Education City Stadion zu Jahresbeginn. Mbappé und Hakimi blödeln rum, der Franzose sagt das Spiel gegeneinander praktisch voraus. Es werde sein Herz brechen, aber er müsse seinen Freund «zerstören», sagte Mbappé lachend. Und Hakimi lacht auch. Als Rechtsverteidiger wird der Marokkaner praktisch über die gesamte Spieldauer auf den Linksaußen Mbappé treffen. «Er kennt ihn besser als ich», sagte Marokkos Nationaltrainer Walid Regragui. «Er trainiert jeden Tag mit ihm.»

PSG-Duo mit Leader-Qualitäten

Der frühere Dortmunder Hakimi (24) war im Sommer 2021 nach Paris gewechselt, Mbappé (23) spielt seit 2017 bei PSG. Das große Ziel, gemeinsam die Champions League zu gewinnen, verpassten beide in der vergangenen Saison. Dafür kann der Franzose mit seinem Heimatland zum zweiten Mal in Folge Weltmeister werden, ein Kunststück, das bislang nur Brasilien 1962 gelang. Hakimi gilt schon jetzt als Anführer jenes historisch erfolgreichen afrikanischen Teams, das es erstmals ins Halbfinale schaffte.

Besondere taktische Pläne habe er gegen den pfeilschnellen Mbappé nicht entwickelt, sagte Regragui. «Sich nur auf ihn zu konzentrieren, wäre ein Fehler.» Die Konzentration gilt ohnehin dem großen Ganzen. «Wir wollen Geschichte schreiben und Afrika an die Weltspitze setzen», sagte der 47-Jährige. «Wenn wir zufrieden damit wären, im Halbfinale zu stehen, wären viele Menschen einverstanden – aber ich nicht. Wir sind unter den besten Vier und wollen ins Finale kommen.»

«Eine einzigartige Gelegenheit»

Es sei für «beide Teams eine einzigartige Gelegenheit, ins Finale einzuziehen. Auch Marokko will noch mehr», sagte Frankreichs Kapitän und Torhüter Hugo Lloris. Es gebe für Frankreich die Chance, etwas «sehr Besonderes» zu erreichen. «Das ist uns allen bewusst.»

Erwartet werden im Al-Bait Stadion nördlich von Doha Tausende marokkanische Fans, die extra einfliegen. Gemeinsam mit den Anhängern aus Brasilien und Argentinien die «besten der Welt», meinte Regragui, der die Außenseiterrolle zwar annimmt. Im Grunde ist sie ihm aber herzlich egal. «Wir sind hungrig, ich weiß nicht, ob das ausreicht, aber ich hoffe es.»

Die französischen Weltmeister können sich auf eine um jeden Millimeter Rasen kämpfende Defensive einstellen. «Hoffentlich werden wir eine Lösung finden», sagte Nationaltrainer Didier Deschamps, der mit seinem Team im Viertelfinale gegen England viel Mühe gehabt hatte. Die Herausforderung Marokko nimmt der 54-Jährige entspannt lächelnd an: «Wir werden versuchen, sie zu entschlüsseln, Chancen zu kreieren und Tore zu schießen.»

Olivier Giroud (4 Tore) und Mbappé (5) sind die beiden bis zum Halbfinale besten Torschützen des Turniers. Den Engländern war es aber – aus französischer Sicht – gefährlich oft gelungen, insbesondere Mbappé aus dem Spiel zu nehmen. «Auch wenn man neben dem Platz befreundet ist, wenn du bei einer WM spielst und dein Land vertrittst, geht das vor», sagte Lloris über das Duell Mbappé gegen Hakimi. «Dann übernimmt der Wettkampfgeist. Es ist vielleicht schwieriger, gegen einen Teamkollegen zu spielen, weil man sich so gut kennt.»

Dass Hakimi und Mbappé beim aus Katar alimentierten Pariser Hauptstadtclub spielen, passt bestens ins Bild dieser eigenartigen Weltmeisterschaft. Für wen Staatsoberhaupt Tamim bin Hamad Al Thani wohl ist? Grundsätzlich bekommen die Marokkaner massiven Rückhalt in der arabischen Welt. Es ist eine Art Stellvertreterliebe nach dem frühen Aus von Tunesien, Katar und Saudi-Arabien. 

Die besondere Geschichte zwischen den Marokkanern und Frankreich kommt noch dazu. Über eine Million Menschen aus der marokkanischen Diaspora in Europa lebt in Frankreich. Schon nach den Siegen in den vorausgegangenen K.o.-Runden hatten Tausende in etlichen Städten Europas gefeiert. Entsprechend hoch dürften mancherorts die Sicherheitsvorkehrungen sein.

Die möglichen Aufstellungen:

Frankreich: 1 Lloris – 5 Koundé, 4 Varane, 2 Upamecano, 22 Theo Hernández – 8 Tchouameni, 14 Rabiot – 11 Dembélé, 7 Griezmann, 10 Mbappé – 9 Giroud

Marokko: 1 Bono – 2 Hakimi, 18 El Yamiq, 6 Saiss, 3 Mazraoui – 4 Amrabat – 8 Ounahi, 15 Amallah – 7 Ziyech, 19 En-Nesyri, 17 Boufal

Schiedsrichter: Cesar Arturo Ramos Palazuelos (Mexiko)

Miriam Schmidt und Jan Mies, dpa